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Überwältigend

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Alexander Kudascheff
2. September 2015

Die Bedrängten dieser Welt zieht es nach Deutschland. Ein schöneres Kompliment kann es nicht geben. Und die Deutschen werden den in sie gesetzten Hoffnungen gerecht, meint DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff.

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Flüchtlinge am Münchener Bahnhof
Ein Mädchen aus Syrien am Münchner Hauptbahnhof nach seiner Ankunft mit einem Zug aus BudapestBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Es ist ein Land der Hoffnung für Menschen aus dem Nahen Osten, aus Afrika, aus Asien, vom Balkan. Für Menschen, die fliehen - vor Krieg, vor Tyrannei, vor Folter, vor Verfolgung, vor Unterdrückung, vor Diskriminierung, vor Armut, vor Hoffnungslosigkeit. Sie fliehen zu Hunderttausenden - oft unter lebensgefährlichen Bedingungen, praktisch immer ausgesetzt der kriminellen Willkür von Schleuser- und Schlepperbanden. Sie fliehen in ein Land, in dem die meisten Menschen den Flüchtlingen mit Empathie begegnen, mit Fürsorge, mit einer beispielhaften Hilfsbereitschaft und Großherzigkeit. Das ist emotional überwältigend.

Deutschland ist aber auch überwältigt. Nichts scheint mehr zu gelten. Keine Regeln, keine Gesetze, keine Normen, keine Gewissheiten. Alle möglichen Bedenken und Sorgen werden ausgeklammert oder zurückgestellt. 800.000 Flüchtlinge sind eine Aufgabe, der sich die Deutschen stellen, ja zu stellen haben. Sie werden als Chance gesehen, nicht als Belastung oder gar Überforderung.

Neue deutsche Tugend

Und wirklich scheinen die Deutschen den Flüchtlingen aus anderen Kulturen, von anderen Kontinenten im Moment mit Sympathie und Neugier und überwältigender Hilfsbereitschaft gegenüber zu treten. Man schaut fast fassungslos auf diese neuen Deutschen, die die Kanzlerin zu einer ganz neuen deutschen Tugend aufgerufen hat: Flexibilität. Anders gesagt: die Dinge treiben lassen und schauen, was dabei heraus kommt.

Woher kommt diese anrührende Bereitschaft, Fremde und Flüchtlinge aufzunehmen, nicht auf Qualifikationen zu bestehen, was jedes Einwanderungsland ganz selbstverständlich macht? Es ist der Schatten des Dritten Reiches, es ist die überlieferte Erinnerung an die Erfahrungen Hunderttausender Deutscher, die emigrieren mussten, die verzweifelt versuchten in England, den USA, Frankreich, der Schweiz oder Shanghai unter zu kommen. Es ist die Erinnerung an die Odyssee so vieler Deutscher, denen die Flucht nicht gelang, die sich aus Verzweiflung das Leben nahmen, die auf der Flucht verhaftet, deportiert und ermordet wurden.

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DW-Chefredakteur Alexander KudascheffBild: DW/M. Müller

Gesellschaftliche DNA Deutschlands

Daraus entstand nach dem Krieg der weltweit einmalige Asylartikel des deutschen Grundgesetzes, der politisch Verfolgten ein Recht auf Asyl zugesteht. Das Asylrecht ist kein Gnadenakt, sondern eine juristische und moralische Verpflichtung. Und obwohl es vor 20 Jahren geändert und abgeschwächt wurde, hat dieses Asylrecht im Kern weiter Bestand. Es gehört zur politischen, zur gesellschaftlichen DNA Deutschlands.

Die überwältigende Mehrheit der Deutschen steht zu dieser moralischen Verpflichtung, die Eliten sowieso. Eine kleine Minderheit pöbelt und demonstriert leider gegen die Flüchtlinge. Nicht schön, keine Frage, aber es ist eben eine verschwindend kleine Minderheit. Doch niemand soll ausschließen, dass aus der überwältigenden Hilfsbereitschaft eine überforderte Gesellschaft wird. Dass aus Empathie Ablehnung wächst. Deswegen muss die Politik endlich handeln. Sagen, was sie will, was geht, was nicht mehr geht - national und auf europäischer Ebene. Wir haben einen Notstand, in dem sich der Staat überfordert zeigt. Bisher jedenfalls mehr als seine Bürger.

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