Will die SPD regieren?
Martin Schulz muss zittern. Fällt das Sondierungsergebnis am Sonntag beim SPD-Parteitag durch, dann hat sich nicht nur die neue GroKo erledigt, sondern auch Schulz als Parteivorsitzender. Schneller und tiefer wäre noch kein SPD-Chef gefallen. Ist es doch noch kein Jahr her, dass die Sozialdemokraten ihren Vorsitzenden einstimmig ins Amt befördert haben.
Ja, die SPD ist traditionell ein sehr diskussionsfreudiger, um nicht zu sagen zerstrittener Haufen. Ihre früheren Kanzler können ein Lied davon singen: Helmut Schmidt hatte vor 40 Jahren den NATO-Doppelbeschluss erfunden und konnte ihn gegen den Widerstand seiner eigenen Leute nicht durchsetzen. Gerhard Schröder hat mit der Agenda 2010 die größte Sozialreform der deutschen Nachkriegsgeschichte auf den Weg gebracht, der das Land die hervorragende wirtschaftliche Lage der Gegenwart verdankt. Doch wer leidet bis heute an diesem Glanzstück und redet es schlecht? Die SPD.
Kein Mitleid verdient
Mitleid hat Martin Schulz dennoch keines verdient. Denn in die heutige Situation, in der er nicht mehr Herr des Verfahrens ist, hat er sich ganz alleine manövriert. Es begann mit dem völlig verkorksten Bundestagswahlkampf, in dem Schulz kein zündendes Thema fand. Auf das TV-Duell mit der Kanzlerin, das wie ein Vorstellungsgespräch um die Vize-Kanzlerschaft wirkte, dann die abrupte Kehrtwende am Wahlabend: "Die Zusammenarbeit mit der Union ist ab sofort beendet!" Dieser Schlingerkurs hat ihn nicht nur beim Wahlvolk jede Menge Kredit gekostet - er hat auch seine Partei zerlegt und abgrundtief gespalten.
In dieser Situation kommt der Fahrplan des SPD-Vorstands zur neuen GroKo dem Tanz auf einer Rasierklinge gleich: Koalitionsverhandlungen nur dann, wenn die rund 600 Delegierten des Parteitages dem zugestimmt haben. Und sollte bei diesen tatsächlich ein Koalitionsvertrag herauskommen, dann müssen auch noch die mehr als 400.000 Parteimitglieder ein positives Votum abgeben.
Weder das Parteistatut der SPD und schon gar nicht das Grundgesetz schreiben eine derart komplizierte und langwierige Verfahrensweise vor, die den Deutschen mit viel Glück vielleicht bis Ostern eine neue Bundesregierung beschert (immerhin ist Ostern in diesem Jahr ja sehr früh).
Schwacher Vorsitzender
Warum wird die Entscheidung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen nicht einfach in einer SPD-Fraktionssitzung oder im Parteivorstand gefällt? Die Erklärung ist banal: Die Delegation der Entscheidung an einen Parteitag oder die Mitglieder ist ein Druckmittel gegenüber der Partei von Angela Merkel. "Leider können wir euch an dieser Stelle nicht weiter entgegen kommen, sonst stimmen unsere Leute nicht zu."
Was in den Verhandlungen vielleicht eine Hilfe war, kann Martin Schulz nun schon am Sonntag zum Verhängnis werden. Ein starker Vorsitzender hätte sich nie einem solchen Risiko ausgesetzt. Und auch den seit Tagen tönenden Chor der Kritiker (zum Teil Mitglieder der Verhandlungskommission!) schnell zum Schweigen gebracht. Mindestens jedoch mit starken Auftritten die eigene Truppe von der Weisheit und dem Verhandlungserfolg des Chefs überzeugt. Aber der einstige 100 Prozent-Schulz ist eben kein starker Vorsitzender. Der Chef der Jungsozialisten und Anführer der "No GroKo"-Bewegung in der SPD wirkt jedenfalls wesentlich eloquenter.
Schlechte Nachrichten für Angela Merkel
Das alles kann man sich als eine entwickelte innerparteiliche Debattenkultur schönreden. Man kann aber ganz einfach zur Kenntnis nehmen: Die SPD in ihrer gegenwärtigen Verfassung ist leider weder ein verlässlicher Partner noch regierungsfähig. Doch auch Neuwahlen kann die SPD nicht wollen - nach allen Umfragen wird sie dann noch schlechter abschneiden als im September. Es spricht also vieles für eine Premiere in der bundesdeutschen Geschichte: ein Minderheitenkabinett von CDU und CSU. Für Angela Merkel ist das die denkbar schlechteste Nachricht.
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