Mit hochrotem Kopf und noch nach Luft schnappend, muss Marco Koch eine Erklärung finden. Das Dumme ist nur: Er hat keine. Warum schafft er es als Weltmeister über 200 Meter Brust im olympischen Rennen in seiner Paradedisziplin nur als Vorletzter ins Ziel? Marco Koch zuckt mit den Achseln, während ihm das Chlorwasser noch von der Nase tropft. "Es war nicht mehr drin. Ich habe alles gegeben. Dann kann ich es auch nicht ändern", sagt er mit etwas kindlichem Trotz in Richtung Reporter. Keiner im deutschen Schwimmteam habe vier Jahre lang trainiert, "und schaukelt sich dann hier die Eier." Das behauptet auch keiner. Die Leistungen stimmten dennoch nicht.
Das Schwimm-Fiasko
Wenn in 34 olympischen Schwimmentscheidungen in Rio für eine erfolgreiche und mit exzellenten Trainingsbedingungen gesegnete Sportnation nicht eine einzige Schwimmmedaille herausspringt und das beste Resultat am Ende ein magerer sechster Platz ist, dann ist das ein sportliches Fiasko. Die Tatsache, dass dies in London auch nicht anders war, macht es keinen Deut besser. Im Gegenteil: Vier Jahre verstrichen offensichtlich ungenutzt. Deutschland ist in einer olympischen Kernsportart nicht konkurrenzfähig. Und Schwimmen ist damit nicht allein. Fechter, Slalom-Kanuten und Straßen-Radsportler bleiben ebenfalls ohne eine einzige Medaille, die Kanuten weit hinter den selbst gesteckten Zielen. Das mag von Disziplin zu Disziplin, von Sportler zu Sportler, sehr unterschiedliche Gründe haben, doch das Ergebnis bleibt: Es fehlt in vielen olympischen Sportarten eine schlagkräftige Spitze und dahinter eine ordentliche Breite.
Zwar haben deutsche Athleten bei diesen Spielen schon acht Goldmedaillen gewonnen und belegen aktuell Platz fünf im Medaillenspiegel, "aber davon darf man sich nicht blenden lassen", sagt selbst Dirk Schimmelpfennig, Leistungssport-Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Er ahnt schon jetzt, dass die 44 Medaillen von London in Rio nicht erreichen werden und er seine Ziele wieder einmal nach unten korrigieren muss. Allein die Tatsache, dass inzwischen mehr Nationen als früher Medaillen holen, erklärt die kontinuierliche Talfahrt des deutschen olympischen Sports nicht.
Die Abwärtsspirale
Die Gründe liegen eher im eigenen Land. Für die meisten der rund 80 Millionen Deutschen ist Fußball der Sport überhaupt. Danach kommt lange nichts. Die Dominanz des omnipräsenten Rasenballsports hat in den letzten Jahren noch einmal deutlich zugenommen: medial, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Sponsoren setzen folglich stärker auf das populäre Ballspiel und wenden sich von Leichtathletik, Schwimmen und Co. ab. Die bringen keine Aufmerksamkeit. Dadurch springen auch TV-Anstalten ab, womit die Sportarten weniger sichtbar sind und folglich weniger Kinder und Jugendliche diesen Sport selbst ausüben wollen. Eine Abwärtsspirale.
Um die aufzuhalten, bedarf es eines Neustarts im deutschen olympischen Sport. Die nicht unumstrittene, weil ungleiche Sportförderung steht zur Debatte. Wie können Sponsoren zurückgewonnen werden? Und wie stark soll und kann sich der deutsche Staat am internationalen Wettrüsten der Sportsysteme beteiligen? Der DOSB kennt diese Fragen und verspricht deswegen Struktur-Reformen nach den Spielen. Wie die genau aussehen sollen, weiß oder sagt zumindest niemand. Man wisse aktuell noch nicht einmal, wie viel Fördergeld der deutsche Sport künftig brauche, sagt DOSB-Vorstandsvorsitzender Michael Vesper. Nicht die beste Ausgangslage für Verhandlungen mit den Mittelgebern. Man darf sich also vom Gold nicht blenden lassen, es sieht nicht gerade gut aus für den olympischen Sport in Deutschland.
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