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Vom Saulus zum Paulus

10. Juli 2015

Alexis Tsipras hat unter dem Druck des Faktischen eine weitere radikale Kehrtwende vollzogen. Kann das so kurz nach dem Referendum funktionieren? Die neue Linie ist nicht ohne Risiko, meint Spiros Moskovou.

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Belgien Alexis Tsipras in Brüssel
Bild: picture-alliance/dpa/L. Dubrule

Steuererhöhungen, Rentenkürzungen, Privatisierungen, Einsparungen bei der Verteidigung: Das ist die Essenz der Vorschläge der griechischen Regierung an die internationalen Geldgeber, damit sie das Land nicht endgültig fallen lassen. Oder zusammengefasst in einem Wort: Austerität. Verbrämt mit der Hoffnung auf ein Investitionsprogramm, um die Wirtschaft anzukurbeln, und eine wie auch immer geartete Umschuldung.

Es ist genau der Mix von Spar- und Reformplänen, den die populistische links-rechts Regierung unter Alexis Tsipras während der fünfmonatigen ergebnislosen Verhandlungen mit den Institutionen wiederholt als toxisch bezeichnet hat. Es ist, abgesehen von einigen wenigen Korrekturen, genau der Mix, den die Regierung bis zum Abbruch der Gespräche vor zwei Wochen zurückgewiesen hat und den die griechischen Wähler mit überwältigender Mehrheit im Referendum vor einer Woche abgelehnt haben.

Der domestizierte Tsipras

Die plötzliche Metamorphose der Regierung Tsipras ist aber nicht durch göttliche Eingebung erfolgt. Wir haben es eher mit einer klassischen Domestizierung zu tun: Syriza war bis Ende Januar eine rabiate Opposition in Griechenland, nach ihrem Wahlsieg wurde sie zu einer aufmüpfigen Opposition gegenüber dem restlichen Europa. Und erst jetzt, kurz vor dem totalen Finanzkollaps des Landes, versucht sie es mit der Rolle, die sie eigentlich seit Monaten spielen sollte - die einer Regierungspartei!

Tsipras erscheint jetzt immer vernünftiger. Jetzt, nachdem die Banken ihre Tore schließen mussten und die Rentner in Schlangen um Geld zum Einkaufen anstehen. Jetzt versucht er einen nationalen Konsens mit den pro-europäischen Oppositionsparteien zu schmieden, jetzt dämpft er vorläufig die Wutausbrüche seines ultrarechten Verteidigungsministers. Und jetzt präsentiert er sogar den Geldgebern deren eigene und gerade noch von ihm verschmähten Vorschläge.

Moskovou Spiros Kommentarbild App
Spiros Moskovou leitet die Griechische Redaktion der DW

Es ist durchaus möglich, dass diese Vorschläge den Institutionen erstmal reichen, und diese die Alimentierung des griechischen Staates bis auf weiteres fortsetzen. Problematisch wird allerdings die konkrete Umsetzung der Reformen: Weil sie nämlich nicht das Ergebnis von politischer Überzeugung sind, sondern eindeutig den Wahlversprechen und dem politischen Weltbild beider Koalitionsparteien entgegenstehen.

Hält die griechische Koalition?

Dieses Weltbild propagiert zwar Gerechtigkeit und Würde, tatsächlich aber konserviert es einen kranken, völlig überdimensionierten öffentlichen Sektor und zementiert Pfründe und Seilschaften. Es ist kein Zufall, dass zwei Kabinettsmitglieder den Antrag der Regierung an das Parlament, den Vorschlägen zuzustimmen, nicht unterschrieben haben: der Verteidigungsminister und Vorsitzender des rechten Koalitionspartners Anel, Panos Kammenos, sowie der Energieminister und Vertreter des ultralinken Syriza-Flügels Panagiotis Lafazanis. Auch wenn alles nach dem neuesten Tsipras-Plan läuft und ein Grexit an diesem Wochenende abgewendet wird - politische Turbulenzen in Griechenland sind programmiert!

Porträt eines Mannes mit schwarz-grau melierten Locken
Spiros Moskovou Redakteur und Autor der DW Programs for Europe