Sehnsucht nach dem starken Mann
17. Januar 2014Ägypten ist derzeit wohl das einzige Land, in dem Pralinenpackungen, Schokoladentäfelchen und sogar Damenunterwäsche mit dem Konterfei des amtierenden Verteidigungsministers reißenden Absatz finden.
Man mag die Auswüchse des kuriosen Personenkults um Militärchef General Abdel Fattah Al-Sisi belächeln - sie haben aber einen ernsthaften Hintergrund: Nach drei Jahren Chaos, unzähligen Gewaltorgien mit mehreren tausend Toten, zwischenzeitlicher Herrschaft der Muslimbrüder und deren Sturz durch die Armee sehnen sich viele Ägypter nach Stabilität. Sie wollen, dass wieder Ruhe im Land einkehrt. Sie wollen eine Entwicklungsperspektive. Man muss nüchtern zur Kenntnis nehmen: Der Wunsch nach Partizipation, nach echter Demokratie, steht angesichts von politischem Chaos und anhaltender wirtschaftlicher Talfahrt für viele Ägypter derzeit nicht an erster Stelle.
Kurioser Personenkult
Das unzweideutige "Ja" bei dem Verfassungsreferendum in Ägypten ist Ausdruck dieser Sehnsucht. Und diese Sehnsucht richtet sich direkt auf General Al-Sisi, der hinter den Kulissen schon jetzt der eigentlich starke Mann in Kairo ist. Er hat nun gute Chancen, bei den nächsten Wahlen ins Präsidentenamt aufzusteigen.
Allerdings blieb die Wahlbeteiligung offenbar hinter den Erwartungen zurück. Dies lässt erkennen, dass General Al-Sisi neben vielen "Fans" auch zahlreiche Gegner hat: Nicht nur die Muslimbrüder, die inzwischen pauschal als "Terroristen" verfolgt werden, sondern auch zahlreiche liberal und säkular eingestellte Ägypter, die übelste Repressionen ertragen müssen. Ägypten ist und bleibt eine gespaltene Nation.
Die neue Verfassung stärkt zwar die gesellschaftliche Stellung der Frau und bietet der christlichen Minderheit Aussicht auf bessere Berücksichtigung ihrer Interessen - zwei wichtige und durchaus erfreuliche Punkte. Das Dokument schreibt jedoch auch die starke Stellung der Armee fest: Sie ist und bleibt "Staat im Staate", entzieht sich jeder politischen Kontrolle und darf weiter Militärtribunale gegen Zivilisten führen. Es steht zu befürchten, dass Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung bleiben werden.
Durchgreifen reicht nicht
Die eigentliche Botschaft dieses Referendums lautet deshalb: Eine vermutlich eher knappe Mehrheit der Ägypter scheint derzeit bereit, die nationale Zukunftsplanung für die nächsten Jahre vertrauensvoll in die Hände des Militärs zu legen - auch wenn dies zu Lasten von Freiheitsrechten geht. Der Rest der Nation fühlt sich als Verlierer.
Der Weg zur Demokratie ist damit nicht zwangsläufig ein für allemal verbaut. Aber er wird länger und steiniger. Ägypten scheint heute wieder dort angelangt zu sein, wo es in der Ära von Ex-Präsident Hosni Mubaraks stand. Angesichts der starken ideologischen Polarisierung in der Bevölkerung dürfte es jedoch Wunschdenken bleiben, dass ein stramm geführtes Regime zu mehr Stabilität führen wird. Die Kriminalisierung von Andersdenkenden kann sich jederzeit in neuen Gewaltexzessen entladen.
Starke Männer sind bekannt dafür, hart durchgreifen zu können. Wer eine ideologisch extrem polarisierte Gesellschaft befrieden und in eine bessere Zukunft führen will, der muss jedoch auch Konsens stiften und Brücken der Verständigung bauen können.