Wenn sich irgendwann in ferner Zukunft die Deutschen an die Ära Merkel erinnern werden und nach der einen großen Überschrift suchen, die diese Zeit zusammenfasst, dann haben die drei Worte "Wir schaffen das" große Chancen auf Platz Eins. Vor genau drei Jahren sprach die Kanzlerin diese Worte, und seitdem ist er der am meisten interpretierte, analysierte und diskutierte politische Satz im Land.
Inzwischen ist vieles grundlegend anders
War das wirklich erst vor drei Jahren? Gefühlt scheint das schon eine Ewigkeit her zu sein. Das liegt daran, dass das Land durch diesen Satz und die damit verbundene Flüchtlings- und Asylpolitik grundlegend verändert wurde. Nicht institutionell, nicht wirtschaftlich - aber politisch, gesellschaftlich und vor allem mental.
Haben wir es geschafft seitdem? Ja und Nein. Fast eine Million Flüchtlinge waren in diesem Jahr 2015 nach Deutschland gekommen. Zumindest anfangs herzlich begrüßt durch eine breite Willkommenskultur, getragen von vielen freiwilligen Helfern, von Kommunen, Organisationen, Kirchen, Vereinen. Die große Mehrheit der Flüchtlinge ist anständig aufgenommen worden und verhalten sich auch selbst so. Das ist also geschafft. Aber lange Zeit kamen viele Menschen völlig unkontrolliert ins Land, und schon früh meldeten Städte und Gemeinden Bedenken an, dass das alles so einfach nun auch wieder nicht zu schaffen sei. Ein Gefühl machte sich breit, dass der Staat, die Politik, weder willens noch in der Lage sei, für geregelte Abläufe und für Sicherheit zu sorgen. Mittlerweile hat Angela Merkels Regierung die Flüchtlingspolitik Schritt für Schritt verschärft. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sie für einen anderen, liberaleren Kurs weder in Europa noch in Deutschland selbst - und auch erst recht in ihrer eigenen Partei - keine Mehrheit mehr fand.
Und jetzt geht es längst nicht mehr allein um die Asylpolitik, um die Frage also, wie viele Flüchtlinge ein so großes Land wie Deutschland in welchem Zeitraum vertragen kann. Es geht jetzt eher darum, dass das Thema Flucht und Zuwanderung ein Auslöser war und ist für eine ganze Liste von Problemen - ganz grob gesagt - in der Kommunikation zwischen Politik und Volk. Längst überwunden geglaubte Verletzungen, Ressentiments sind plötzlich wieder da: zwischen Ost und West, Stadt und Land, Rechts und Links. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen können sich über die Frage, welche Politik gegenüber Flüchtlingen die richtige ist, kaum noch verständigen. Der Ton ist aggressiv, Rechtspopulisten und Neo-Nazis nutzen das für ihre Zwecke. Tabus sind gebrochen worden, Standards werden kontinuierlich verschoben - in der Wortwahl, im Maß der Argumentation.
Wer war mit "Wir" eigentlich gemeint?
Nicht wenige interpretieren Merkels Satz heute so: Mit dem "Wir", die da was schaffen sollten, waren gar nicht alle gemeint. Die Hauptlast der Asylpolitik tragen in dieser Sichtweise Polizeibeamte und Behördenvertreter, Anwohner in der Nähe der Asylunterkünfte und die Kommunen - die Städte und Gemeinden. Aber gewiss nicht die Bundespolitiker in Berlin in ihrem Elfenbeinturm. Und wer schon richtig in Fahrt ist, strickt diese Sichtweise dann so weiter: Die Politiker interessieren sich auch sonst nicht für uns, die einfachen Bürgerinnen und Bürger. Dafür, wie wir mit der Globalisierung klarkommen, mit den zahllosen prekären Arbeitsverhältnissen, mit sozialer Unsicherheit.
Für die Zukunft sollte das "Wir schaffen das!" deswegen noch einige zusätzliche Fragen in den Blick nehmen: Gelingt es Gesellschaft, Politik, Verbänden, Politikern und Bürgern wieder, miteinander in ein konstruktives Gespräch zu kommen? Sich auf die zentralen Fundamente und Säulen unserer Gesellschaftsordnung zu verständigen, die alle wertschätzen sollten? Auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, sozialen Ausgleich? Ja, und auch über die Zukunft der Flüchtlingspolitik? Gut möglich, dass das noch weit schwieriger zu schaffen sein wird, als die für sich alleine schon hochkomplexe und schwierige Aufnahme und Integration von Flüchtlingen.