Irgendwann in den Nuller Jahren dieses Jahrtausends, als das Internet laufen gelernt hatte, war YouTube ein Versprechen. Es waren nicht nur die Musikvideos aller Genres, die man schon immer noch mal anschauen wollte. Vor dem Aufkommen von Netflix und Co. und bevor viele Medien auf die massenhafte Verbreitung von Videos setzen, war es der YouTube-Kanal, in dem man nach Herzenslust sein eigenes Programm zusammenstellen konnte, wenn die linearen TV-Kanäle mal wieder nur Einschlafhilfen sendeten. Die neuen Medien brachten schnell ihre eigenen Stars hervor, die ihre Botschaften mit schnodderiger Sprache per Webcam aus ihrem mehr oder weniger aufgeräumten Jugendzimmer verbreiteten.
Das Neue und das Alte
Vor zwei Jahren interviewte einer dieser Stars, LeFloid, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch was als Hype begann, endete als Flop. Kritische Fragen? Fehlanzeige! Der Internet-Star sei nur ein eingeschüchterter Stichwortgeber gewesen, hieß es einhellig - und ein wenig hämisch - in den traditionellen Medien. Das Magazin "Stern" schrieb: "Das Neue hat dem Alten definitiv nicht gezeigt, wie der Hase läuft. Das Alte hat den Hasen einfach geschlachtet, genüsslich gehäutet und entspannt verspeist."
Diesmal sollte alles viel besser werden. Dieses Mal interviewten gleich vier YouTuber die wahlkämpfende Kanzlerin - allerdings nacheinander. Die fantastischen Vier, MrWissen2Go, IschtarIsik, AlexiBexi und ItsColeslaw, kommen gemeinsam auf fantastische drei Millionen Abonnenten, also Zahlen, von denen jede deutsche Zeitung nur träumen kann. "Wir schalten live ins Neuland", teaserte denn auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" den Live-Stream ungewohnt ironisch auf ihren Seiten an.
Harmlos und altbacken
Doch wer sich von der Zusammensetzung spannende Gespräche und neue Einsichten erwartete, wurde abermals enttäuscht - inhaltlich und formal. Von wegen YouTube-Ästhetik: Das Studio entsprach eher dem einer traditionellen Talkshow, Kameraführung und Haltung der Interviewer waren konventionell bis altbacken. Und inhaltlich? Auch dieses Mal dienten die Fragen der zunehmend frustierenden Vier eher dazu, der Kanzlerin Stichworte für ihre Redebeiträge zu geben - was diese weidlich nutzte, indem sie etwa die Einführung des Mindestlohnes für sich reklamierte, ohne dass es der Interviewerin auch nur auffiel, dass ihn die SPD erst gegen erhebliche Widerstände in der Union durchsetzte. Dass kaum einmal kritisch eingehakt wurde, stieß im Verlauf der Interviews zunehmend unangenehm auf:
Trauriger Höhepunkt der unter dem Hashtag #DeineWahl verbreiteten Gespräche war, als die sonst als Beauty-Bloggerin firmierende Ischtar Isik bekannte, dass das ihr erstes Interview sei, worauf die Kanzlerin knallhart zurückfragte: "Sonst machen Sie immer nur (kurze Kunstpause) Selbstdarstellung?"
Nach zwei solcher Flops bleibt festzuhalten: Es gibt einen klaren Unterschied zwischen dem, was Merkel mit einer gewissen Berechtigung "Selbstdarstellung" nennt und dem, was die interessierte Öffentlichkeit unter "Journalismus" kennt. Für letzteres war #DeineWahl deutlich zu wenig. Und selbst darstellen konnte sich nur eine: die Kanzlerin. Schade eigentlich.
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