Pro: Erst nach Tests diskutieren
24. August 2017Ja, natürlich gibt es Argumente, den Test des Gesichtserkennungssystems an einem Berliner Bahnhof sofort zu stoppen. Verschwörungstheorien darüber, wie "die da oben" uns alle ausspionieren und beherrschen wollen, haben ihren Reiz - ohne Zweifel. Nur: Hier gibt es keine Verschwörung. Wie könnte es eine geben, wenn der ganze Test derart öffentlich ist?
Vor Monaten hat die Berliner Polizei - begleitet von einer Menge Publizität - einige hundert Freiwillige für ein Experiment mit dem Prototypen eines biometrischen Erkennungssystems am Bahnhof Südkreuz gesucht. Das System vergleicht die Bilder von schon vorhandenen Videoüberwachungskameras mit Fotos der Freiwilligen aus einer Datenbank und versucht, die Personen zu identifizieren. Die Freiwilligen tragen hierfür Transponder, die sie orten - damit wird kontrolliert, ob das Gesichtserkennungssystem auch tatsächlich funktioniert.
Niemand teilt die Angst der Datenschützer
Vielfach wurde kritisiert, die Transponder würden mehr Daten sammeln als ursprünglich angegeben. Aber niemand glaubt ernsthaft, dass die Polizei die gewonnenen Daten tatsächlich nutzen will. Wozu auch? Und keiner von den Freiwilligen hat deswegen seine Teilnahme am Projekt beendet. Als die Polizei Freiwillige für den Test suchte, habe ich darüber berichtet und die Kandidaten gefragt, ob sie fürchteten, ihre Daten könnten missbraucht werden. Doch solche Ängste waren nicht vorhanden. Im Gegenteil: Die Probanden waren neugierig, ob das System funktionieren würde und wollten ihren Teil für eine aus ihrer Sicht gute Sache beitragen.
Datenschützer mögen diese Haltung naiv finden. Aber ist sie das wirklich? Die meisten von uns wissen überhaupt nicht, welche und wie viele Daten unsere Handys und die Sozialen Netzwerke über uns sammeln und weiterleiten. Wie viele von uns schalten die GPS-Funktionen in unseren Geräten denn tatsächlich aus? Und wer checkt nicht regelmäßig Facebook oder Email nach neuen Nachrichten? Im Vergleich dazu ist die Teilnahme an diesem öffentlichen, von Journalisten, Politikern und Datenschützern eng überwachten Test doch geradezu harmlos!
Aus zwei politischen Gründen ist es wichtig, dass das Experiment fortgesetzt wird: Nach dem Terrorangriff auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember und der anschließenden Fahndung nach dem Täter monierten die Rechtspopulisten, die deutsche Regierung unternehme nicht genug gegen Terroristen. Es würde genau solche Vorwürfe nähren, wenn man reflexartig jede biometrische Identifikationstechnologie ablehnte. Demgegenüber zeigt der Test dieser Technologie, dass die Regierung vieles ausprobiert, um die Bevölkerung vor Terror zu schützen.
Der Test ist ein Test
Das Experiment am Berliner Südkreuz dient auch dazu, die Grenzen und vielleicht sogar das Missbrauchspotenzial eines solchen Systems aufzudecken. Kritiker monieren nämlich, dass Gesichtserkennungssoftware nur mangelhaft funktioniere und dazu führen könne, dass Menschen falsch identifiziert würden. Wenn dies der Fall sein sollte - ist es dann nicht besser, solche Mängel jetzt im Test festzustellen und wissenschaftlich zu dokumentieren, als die Probleme im Dunklen zu lassen? Bei seinem Auftritt am Südkreuz am Donnerstag sprach Bundesinnenminister Thomas de Maizière vom neuen System stets nur im Konjunktiv: Es wäre ein unglaublicher Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung, wenn der Test gelänge. Es sei schließlich ein Experiment - nicht mehr und nicht weniger.
Nehmen wir de Maizière also beim Konjunktiv: Es kann gut sein, dass dieses System scheitern wird. Die Technologie könnte sich entweder als zu unzuverlässig oder auch als unvereinbar mit dem deutschen Recht auf Privatsphäre erweisen. Wie auch immer - das wird sich herausstellen. Es ist gut, dass Datenschützer den Test am Südkreuz eng begleiten. Und es wird spannende Diskussionen geben, wenn die Ergebnisse des Experiments vorliegen. Würde dieser Test schon jetzt gestoppt, fehlten der Öffentlichkeit relevante Informationen, um sich eine vernünftige Meinung über diese umstrittene Technologie zu bilden.
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