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Totalüberwachung mit Gesichtserkennung

24. August 2017

Es klingt wie eine Vorstellung aus der Welt von George Orwells Roman "1984": Überall sind Kameras, die jeden erkennen und jederzeit im Blick haben. Nur eine Utopie? Nicht unbedingt: Technisch ist das längst machbar.

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Deutschland Bochum - Digitale Gesichtserkennung bei der Ruhruniversität
Bild: picture-alliance /dpa/B. Thissen

Unter dem Eindruck der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts war George Orwells Roman 1984 eine furchterregende Science-Fiction-Utopie: ein diktatorischer Staat, der jeden Bürger auf Schritt und Tritt beobachtet, personalisiert durch die Figur des großen Bruders. Was aber viele nicht wissen: Technisch ist die Gesichtserkennung mittlerweile so ausgereift, dass die Vorstellungen des 1948 verfassten Romans gar nicht mehr so weit her geholt sind.

In Berlin etwa startete Anfang August ein Pilotprojekt zur biometrischen Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.Am Donnerstag, den 24. August, hat Innenminister Thomas de Maizière (CDU) es nach einer ersten Anlaufphase vorgestellt. Dabei erfasste das System vorerst nur freiwillige Probanden - der Datenschutz blieb gewährleistet.

Werden uns unsere ethischen Prinzipien davor schützen, dass die Überwachung außer Kontrolle gerät? Hier einige Fragen und Antworten.

Worum geht es bei dem Pilotprojekt zur biometrischen Gesichtserkennung im öffentlichen Raum?

Am Berliner Bahnhof Südkreuz erprobt die Berliner Polizei, ob Kameras auf einem Bahnsteig Menschen erkennen können, deren Foto in einer Datenbank gespeichert ist. Sollte das System zugelassen werden, könnte die Polizei damit gesuchte Personen identifizieren. Noch streiten Datenschützer darum, ob das überhaupt legal wäre.

Wie funktioniert die automatische Gesichtserkennung?

Wie geht biometrische Gesichtserkennung?

Die Systeme erkennen zunächst, was ein Gesicht ist. Haben sie das auf einem Foto oder Video identifiziert, analysieren sie in Echtzeit dessen biometrische Eigenschaften, etwa die Abstände und Winkel zwischen Augen, Nase und Mund. Diese sind für viele Menschen charakteristisch und so gut wie einzigartig. Sie lassen sich in einfachen Zahlencodes erfassen und sind dadurch in Datenbanken gut speicherbar - und schnell jederzeit abzurufen.

Wie zuverlässig kann ein System Gesichter erkennen?

Die biometrische Gesichtserkennung hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verbessert. Gute Systeme mit hochauflösenden Kameras erzielen heutzutage Trefferquoten von 90 Prozent und weit mehr. Damit sind die Computer sogar besser als viele Menschen - auch wenn das Erkennen von Gesichtern dem Menschen quasi in die Wiege gelegt wurde. Unser Gehirn ist dafür besonders geschult, weil wir schon als Babys intensiv in Gesichter schauen.

Warum wird die Gesichtserkennung immer besser?

Seit Anfang des Jahrtausends gibt es Computerprogramme, die maschinell lernen: Sie bringen sich selbst bei, bestimmte wiederkehrende Muster in Gesichtern zu erkennen. So wird die Zuordnung immer besser. Ein Großteil der Gesichtserkennungssoftware basiert auf solchen lernenden Programmen. Der Algorithmus nennt sich nach den Erfindern: Viola-Jones-Methode. Die Software, auf der dieses mathematische Verfahren basiert, kann jeder herunterladen und weiterentwickeln. Sie nennt sich OpenCV.

Berlin Südkreuz Pilotprojekt Gesichtserkennung
Achtung, Gesichtserkennung! Am Berliner Südkreuz wird getestet, was möglich istBild: Reuters/H. Hanschke

Wie steht es mit dem Datenschutz?

Das hängt ganz davon ab, wer die Systeme wie anwendet. An deutschen Forschungsinstituten etwa entwickeln Informatiker Anwendungen, die Gesichtserkennung nutzen, aber die Daten dabei anonymisieren - die erforderlichen hohen Datenschutz-Anforderungen werden eingehalten. Datenschutz ist aber nur dort gut, wo die Gesellschaft und der Staat ihn als übergeordneten Wert anerkennen, strenge Datenschutzgesetze auch erstnehmen und achten.

Wozu kann Gesichtserkennung dienen?

Sie kann beispielsweise der Marktforschung nützlich sein: Mit Gesichtserkennung lässt sich herauszufinden, zu welcher Altersgruppe bestimmte Kunden gehören und ob es Männer oder Frauen sind. Das macht interaktive Werbeflächen möglich: Sie erkennen bestimmte Eigenschaften von Passanten und verändern dann entsprechend ihre Werbebotschaft auf einem Bildschirm.

Pässe enthalten schon lange biometrische Gesichtsfotos. Mit einer Kamera kann ein Grenzbeamter abgleichen, ob dieselbe Person vor ihm steht, die auch im Pass vermerkt ist. Auch ein Alkoholtester kann erkennen, ob derjenige, der eine Bewährungsauflage hat, selbst in das Gerät pustet - nützlich etwa bei der "elektronischen Fußfessel". Mit Gesichtserkennung wird das Gesicht außerdem zum Zugangscode für Türen - nur ganz bestimmte Leute können dann ein Gebäude betreten.

George Orwells Roman" 1984"
Nur eine Utopie - oder doch nicht?Bild: Getty Images/J. Sullivan

Und was könnte noch kommen?

Es klingt nach Science-Fiction, ist aber technisch machbar: Werden viele Kameras - komibiniert mit weiteren Softwares - im öffentlichen Raum zusammengeschlossen, könnten sie Einzelpersonen automatisiert verfolgen, solange sie im Blickfeld der Kameras sind. Es ließen sich auch Bewegungsprofile solcher Personen erstellen. In Kombination mit Mobilfunkdaten, Streckendaten aus Fahrzeugen, Sprach-Daten aus dem Telefon oder biometrischen Zugangsdaten zu Gebäuden, Fahrzeugen oder Endgeräten wäre die Überwachung perfekt.

Ist das denn erlaubt?

Eine Zuordnung all dieser Daten zu einer namentlichen Person ist in Deutschland aufgrund der Gesetzgebung zum Datenschutz illegal. Möglich ist es in einem weniger demokratisch verfassten Staat aber allemal. In China etwa gibt es deutlich weniger Hemmschwellen, die Gesichtserkennung zu nutzen. Bereits jetzt suchen dort Behörden systematisch mit Gesichtserkennungssoftware die Aufzeichungen aus öffentlichen Videokameras nach gesuchten Personen ab. Viele Menschen machen sich offenbar kaum Sorgen um ihre biometrischen Daten: Bereits 120 Millionen Nutzer bezahlen auf der Plattform Alipay mit ihrem Gesicht. Und auch das Car-Sharing-System Didi verifiziert die Fahrer per Gesichtserkennung.

Läßt sich die Gesichtserkennung überlisten?

Sehr voluminöse Bärte - falsch oder echt -, Masken und Schleier machen Gesichtserkennung durchaus unwirksam. Aber auch eine Maske oder einen falschen Bart kann ein Computer lernen zu erkennen und danach immer wieder identifizieren oder verfolgen - es sei denn, alle tragen dieselbe Maske. Es ist auch möglich, der Kamera nur ein Foto eines Gesichts vorzuhalten - die Kamera nimmt es als echt wahr.

Schmidt Fabian Kommentarbild App
Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen