Nur nicht aufatmen, Brasilien!
Eigentlich stand Dilma Rousseffs Schicksal schon am 17. April 2016 fest. Damals stimmte das Abgeordnetenhaus in Brasília mit großer Mehrheit dem Amtsenthebungsverfahren zu. Die letzte Bestätigung durch den Senat war eine reine Formalie.
Von Antrag bis Vollzug hat das Verfahren neun Monate gedauert und formell seinen verfassungsgemäßen Verlauf genommen. Das war den Initiatoren, den Gegnern von Rousseff, auch wichtig, um den Verdacht des Staatsstreichs zu entkräften - zumal die Beweislage gegen Rousseff im Laufe des Prozesses immer dünner wurde. Aber die Argumente von Anklage und Verteidigung verhallten ohnehin ungehört, weil die Meinungen bereits feststanden.
"Es ist ein politischer Prozess", sagten die Verteidiger der Amtsenthebung immer wieder. Oder: "Die Senatoren stimmen eben über das Gesamtbild ab." Das Problem daran ist, dass die präsidiale Verfassung Brasiliens politische Prozesse nicht als Grund für eine Amtsenthebung vorsieht, und es deshalb auch nicht über das "Gesamtbild" zu entscheiden galt. Dass der Senat am Ende gegen eine achtjährige Ämtersperre für Rousseff gestimmt hat, deutet noch einmal darauf hin, wie kontrovers der Prozess ist.
Rousseff stets zu langsam
Aber der Senat hatte die öffentliche Meinung von Beginn an auf seiner Seite. Ein großer Teil von Brasiliens polarisierter Bevölkerung sprach sich seit langem für die Amtsenthebung aus - wohlwissend, dass viele derjenigen, die über Rousseffs Schicksal abstimmten, wegen weit schlimmerer Verfehlungen angeklagt sind als die Präsidentin selbst. Für die Gegner Rousseffs ist ihre Absetzung Mittel zum Zweck, nämlich endlich die tiefe Wirtschaftskrise zu beenden, aus der die Regierung in ihrer Lethargie seit Jahren keinen Ausweg finden konnte.
Die Präsidentin wurde also auch Opfer der chronischen Orientierungslosigkeit ihrer eigenen Regierung. Ihretwegen verlor Rousseff, ohne dass sich irgendwelche juristisch relevanten Verdachtsmomente gegen sie erhärtet hätten, immer mehr Rückhalt: Viele ihrer eigenen Wähler forderten schon früh ihre Absetzung. Am Ende konnten sich noch nicht einmal die Gegner der Amtsenthebung vorstellen, wie es mit Rousseff als Präsidentin hätte weitergehen sollen.
Rousseffs einzige realistische Chance, weiter zu regieren, wäre wohl gewesen, Neuwahlen auszurufen. Aber sie zögerte - wie so oft. Und als sie sich endlich mit diesem Schritt anfreunden konnte, begrub ihre eigene Parteispitze den Vorschlag mit 14 zu zwei Stimmen.
Absetzung kein Neuanfang
Brasiliens Arbeiterpartei PT opfert also ihre Präsidentin Dilma Rousseff. Jetzt hofft die Partei darauf, dass sich die Regierung des neuen Präsidenten Michel Temer bis zu den turnusgemäßen Wahlen 2018 verbraucht hat. Temer, der während Rousseffs Präsidentschaft von ihrem Vizepräsidenten zu ihrem Erzfeind avancierte, ist schon jetzt unbeliebt. Insofern könnte die PT von Rousseffs Amtsenthebung am Ende sogar noch profitieren.
Wenn es einen positiven Aspekt an der ganzen Krise gibt, ist es wohl der: Jetzt, wo die PT ihre Chance vertan hat, muss sie Platz machen für eine neue Linke, die sich mit mehr Legitimität der bedrohlichen Welle von konservativen und religiösen Rechten entgegenstellt, die derzeit über Brasilien schwappt.
Trotzdem wäre es äußerst gefährlich, jetzt erleichtert aufzuatmen. Denn erstens wird ein neoliberales Projekt, das durch keinerlei Wahl legitimiert wurde, die nächsten 28 Monate das Land bestimmen. Und zweitens wird Brasilien immer noch von dutzenden Politikern regiert, gegen die Korruptionsverfahren laufen. Und die haben bereits durchblicken lassen, dass sie die neuen Anti-Korruptions-Gesetze und die Ermittlungen im Petrobras-Skandal mit allen Mitteln im Kongress blockieren werden.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerungen!