Präsidentin Rousseff endgültig gestürzt
31. August 2016Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat den Kampf um ihr Amt verloren: Nach tagelanger Debatte votierte der Senat in Brasília mit 61 zu 20 Stimmen klar für die Absetzung der ersten Frau an der Spitze des fünftgrößten Land der Welt. Der 68-Jährigen war vorgeworfen worden, Haushaltszahlen geschönt und damit gegen ihre Amtspflichten verstoßen zu haben. Rousseff selbst bezeichnete die Vorwürfe als vorgeschoben und sprach stets von einem "Putsch" ihrer Gegner.
Zur Abstimmung stand eine ganz konkrete Frage: "Hat Dilma Rousseff das Verbrechen der Amtspflichtverletzung begangen?" Darauf antworteten 61 von 81 Senatoren mit Ja, die notwendige Zweidrittelmehrheit wurde damit klar erreicht.
Rousseffs Nachfolger ist der bisherige Vizepräsident Michel Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB). Er wurde bereits vereidigt und wird das Land nun mit einer liberal-konservativen Regierung bis zur nächsten Wahl Ende 2018 führen. Temers PMDB hatte im März die Koalition mit der linksgerichteten PT von Roussef platzen lassen, ein Bündnis der PMDB mit Oppositionsparteien brachte die notwendigen Mehrheiten für das umstrittene Impeachment-Verfahren zustande. Im Mai wurde Rousseff zur Prüfung der Vorwürfe zunächst suspendiert, in den vergangenen Tagen fand der juristische Prozess im Senat statt.
Strippenzieher hinter den Kulissen
Temer kann nun als regulärer Präsident zum G20-Gipfel nach China fliegen. Es soll sein erster großer Auftritt auf der internationalen Bühne werden - für die meisten Staats- und Regierungschefs ist er noch ein unbeschriebenes Blatt. Der 75-jährige gilt als Strippenzieher hinter den Kulissen, als Stratege, der sich bestens im Geben und Nehmen des Politikbetriebs auskennt. Der gelernte Jurist amtierte als Generalstaatsanwalt und wurde mehrfach zum Parlamentspräsidenten gewählt. Seit 15 Jahren ist er Vorsitzender der PMDB, einer Zentrumspartei ohne klare inhaltliche Positionen, die seit 1994 an allen Regierungen beteiligt war.
Vor der Abstimmung hatten die Senatoren in einer rund 15-stündigen Marathonsitzung ihre Beweggründe für das Votum erläutert. Rousseffs Verteidiger, der frühere Justizminister José Eduardo Cardozo, verurteilte im Senat das Verfahren scharf. "Wenn Dilma verurteilt wird, bitte ich Gott, dass eines Tages ein neuer Justizminister die Ehre hat, sie um Entschuldigung zu bitten. Wenn sie noch lebt, sie direkt; wenn sie tot ist, ihre Tochter und Enkel", sagte er. "Auf dass die Geschichte Dilma Rousseff freisprechen wird, wenn Ihre Exzellenzen sie verurteilen." Viele Senatoren wiesen aber auf Unregelmäßigkeiten hin - zudem seien alle verfassungsgemäßen Schritte korrekt eingehalten worden.
Das Land ist in Rousseffs 2011 begonnener Präsidentschaft in eine tiefe Rezession gerutscht, 11,8 Millionen Menschen sind aktuell arbeitslos. Ein Grund für die Krise ist auch der Verfall der Rohstoffpreise. Zudem lähmten Korruptionsskandale das Land und brachten das im Jahr 2003 von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gestartete linke Projekt der Arbeiterpartei in Misskredit.
"Allianz von Putschisten"
Rousseff hatte am Montag im Senat eine flammende Verteidigungsrede gehalten. Sie sprach von einem politisch motivierten Verfahren: "Ich habe nicht ein Verbrechen begangen." Sie sieht eine "Allianz von Putschisten" am Werk.
In diesem politischen Kampf hatte sie schlechte Karten, auch weil der Rückhalt im Volk immer stärker gesunken war. Temer, der an den Finanzmärkten mehr Vertrauen genießt, wird von vielen als das kleinere Übel angesehen.
Privatisierungen und Kürzungen
Temer will mit Privatisierungen und Kürzungen im Staatsapparat die neuntgrößte Volkswirtschaft aus der Krise führen. Zudem könnten das Renteneintrittsalter deutlich heraufgesetzt und Sozialprogramme gekürzt werden. Um das Defizit in den Griff zu bekommen, ist eine Schuldenbremse geplant.
In Brasiliens Geschichte hatte es ein Amtsenthebungsverfahren erst einmal gegeben. Wie Rousseff wurde 1992 Fernando Collor de Mello suspendiert. Ihm wurde Korruption zur Last gelegt. Collor de Mello trat aber vor dem Senatsvotum zurück. Er ist heute Senator und gehörte damit auch zum Kreis derer, die über die Ex-Guerillakämpferin zu Gericht saßen.
stu/wl (afp, dpa, epd)