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Paralympics - Nicht zu ignorieren

19. September 2016

Ein begeistertes Publikum, neue Helden und mehr erfolgreiche Nationen einerseits. Andererseits, kritisiert DW-Sportredakteur Joscha Weber, gelten die Paralympics vielen immer noch als Sportevent zweiter Klasse.

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Elena Congost gewinnt den Marathon bei den Paralympics Rio 2016 (Foto: getty)
Begeisterung für Menschen mit Behinderung: Die Wettkämpfe der Paralympics sahen 2,2 Millionen Zuschauer - ein Erfolg.Bild: Getty Images/A. Loureiro

Das Bild passte und zugleich auch nicht. Im strömenden Regen beendete der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, Sir Philip Craven, in seinem Rollstuhl sitzend die "exzellenten Paralympics" von Rio de Janeiro. Als am späten Sonntagabend um 22.21 Uhr Ortszeit die Flamme erlosch, war es in der Mitte des Maracana platschnass, die Mehrzahl der Athleten verließ fluchtartig den Innenraum. Die Tristesse dieses Augenblicks will so gar nicht zu der großen Begeisterung passen, mit der Millionen Zuschauer die Wettkämpfe der Menschen mit Behinderung zuvor begleitet haben. Wenn man die Szene als Metapher verstehen will, stimmt sie aber zumindest in einer Hinsicht: Der Weltsportchef ließ die Paralympics im Regen stehen.

Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), wurde zwar in der Vergangenheit nie müde die Bedeutung der paralympischen Bewegung zu betonen, aber zu den Paralympics fuhr er dennoch nicht: Nicht zu der Eröffnungsfeier, nicht zu den Wettkämpfen, nicht zur Abschlussfeier. Ein peinliches Verhalten eines IOC-Präsidenten, der es stattdessen zum Beispiel vorzog, dem kroatischen NOK persönlich zum 25. Geburtstag zu gratulieren. Ein klarer Fall von falscher Prioritätensetzung. "Ein Armutszeugnis", kritisierte der deutsche Para-Segler Heiko Kröger Bachs Fernbleiben und schlussfolgerte: "Die Wertigkeit der Paralympics steht offenbar vielen Dingen hinten an."

Beeindruckende Leistungsshow von Menschen mit Behinderung

Damit hat er leider recht. Die Paralympics bleiben in der Wahrnehmung mancher ein Event zweiter Klasse. Die "richtigen" Spiele waren ja schon, jetzt durften eben noch die Behinderten ran. Das offensichtliche Desinteresse von IOC und Thomas Bach kann durchaus auch eine beleidigte Antwort auf den Zwist um die Nicht-Zulassung russischer Athleten zu den Paralympics sein - wofür Craven international zu Recht viel Beifall bekam. In jedem Fall aber übersieht die IOC-Spitze damit einen entscheidenden Fakt: Die Paralympics waren ein voller Erfolg.

Joscha Weber (Foto: DW)
DW-Sportredakteur Joscha Weber: "Bachs Fernbleiben von den Paralympics in Rio ist ein peinliches Verhalten für einen IOC-Präsidenten."

2,2 Millionen Besucher verwandelten gemeinsam mit 4352 Athleten aus 159 Nationen Rio für zwölf Tage in einen Ort des Sports. Getragen vom begeisterungsfähigen und auch für viele bislang unbekannte Sportler aufgeschlossenen Publikum entwickelten sich die Spiele der Menschen mit Behinderung zu einer echten Überraschung. So viel Euphorie für Behindertensport hatten sich vorher nicht einmal die Cariocas selbst zugetraut. In einem Land, in dem Barrierefreiheit und überhaupt Belange von Behinderten bislang kaum Beachtung finden, avisierten plötzlich Menschen mit Handicap zu Stars. Etwa Jefinho, "der blinde Pelé" beim Fußball. Oder Felipe Gomes, der Gold-Läufer aus der Favela. Immerhin 76 Mannschaften gewannen diesmal mindestens eine Medaille - ein Zeichen für etwas mehr paralympische Ausgelichenheit, auch wenn China jedes fünfte Gold holte. 209 Weltrekorde zeigten einem breiten Publikum, wozu behinderte Sportler fähig sind. Und so bilanzierte die brasilianische Zeitung "Zero Hora" am Ende zu Recht: "Die Paralympics enden mit einer Botschaft der Gleichheit und der Zuversicht."

Das IOC ignoriert den Erfolg der Paralympics

Die Zuschauer im Maracana feierten im Regen natürlich wieder auch ein bisschen sich selbst als Gastgeber - verständlich in schweren Zeiten mit einer politischen und wirtschaftlichen Krise. Aber sie jubelten auch über die gelungene Integration des Behindertensports, der in Rio wieder einen Schritt nach vorne gemacht hat. Wenn das IOC diese Entwicklung weiterhin ignoriert oder verschläft, müssen sich die Funktionäre nicht wundern, wenn sich die Paralympics auch zukünftig selbstbewusst und eigenständig entwickeln werden.

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