Die Bilder der vergangenen Woche aus Polen machen Hoffnung. Ja - das stimmt. Ich war selbst vor Ort und habe Tausende meiner Landsleute auf den Straßen demonstrieren sehen - für eine unabhängige Gerichtsbarkeit und gegen eine radikale Politik. Das ist zunächst einmal ein Grund zur Hoffnung!
Andererseits: Dass es nötig ist, heute mitten in Europa für freie Gerichte zu demonstrieren, ist schlimm und macht Angst. Angst macht außerdem die Radikalität, mit der die regierende PiS-Partei ihre Reformen durchpeitscht. Und auch die Respektlosigkeit, mit der sie jeglichen Widerstand abtut.
Die Regierung bezeichnet ihren Staatsumbau als einen "guten Wandel". Das ist ebenso zynisch wie der Name der Partei, die sich "Recht und Gerechtigkeit" nennt. Sie schaltet eine Staatsgewalt nach der anderen nach ihrem Gusto gleich.
Kampf um die politische Kultur
Es geht eben nicht um "Recht und Gerechtigkeit". Es geht um Macht und Geld. Aber nicht nur. Es geht auch um Ideologie und um das Monopol auf Geschichtsdeutung. Nein: Diese Regierung handelt nicht umsichtig und besonnen - ganz im Gegenteil: Sie "sortiert" die Bürger des Landes in gute und schlechte. Was gerade in Polen passiert, ist weit mehr als ein Kampf um die politische Macht. Es ist längst zum Kampf um die politische Kultur geworden.
Auf der einen Seite die Beton-Köpfe, die ihrem Parteivorsitzenden wie einem Imperator blind folgen und immun sind gegen jegliche Kritik und ernsthaften Dialog. Auf der anderen Seite diejenigen, die frei und mit gleichen Rechten wie andere Europäer ausgestattet sein wollen und ihr Land durchaus selbstbewusst, mit nationalem Stolz, aber auch auf liberalen Werten basierend sehen. Was ihnen zuwider ist, ist nicht zuletzt auch der rücksichtslose Konfrontationskurs der Regierung - außenpolitisch, innenpolitisch und gesellschaftlich. Sie betreibt keinen Dialog, sondern die Spaltung. Das merkt man an ihren umstrittenen Entscheidungen ebenso, wie an der Sprache.
Für die Politiker der regierenden PiS-Partei ist die Opposition nicht einfach die "andere politische Kraft" - nein, sie ist eine "totale Opposition", die eine "totale Niederlage" verdient. Für mich ist das der totale Wahnsinn.
Die friedlichen Proteste der Bürger sind für die Regierung in Warschau kein Anlass, einen Dialog zu führen. Politiker der PiS nennen die Demonstranten eine "politische Tollwut".
Feinde und Verräter
Andersdenkende sind nicht einfach Andersdenkende, deren Meinung man in reifen Demokratien zwar nicht teilen muss, aber immerhin respektiert. Für die PiS sind sie stattdessen Feinde und Verräter, die man ignorieren und beschimpfen darf. Bestenfalls belehrt man sie - so, wie man jetzt den Staatspräsidenten Andrzej Duda zu belehren versucht.
Der einfache Abgeordnete Jaroslaw Kaczynski nennt Dudas präsidiale Veto-Entscheidung "einen Fehler", den man noch korrigieren und dann vergessen könne, damit der Umbau des Staates weiter vorangehen kann. Parteiinteressen gegen das Wohl des Landes - das kann nicht gut enden. Diese Ignoranz gegenüber staatlichen Autoritäten ist empörend und zeigt, wie unreif die polnische Demokratie noch ist. Wenn eine Regierung so wenig Respekt für den Präsidenten hat - wieviel hat sie dann für den einfachen Bürger?
Statt Kompromisse zu schmieden sucht sie die Konfrontation. Es ist unanständig, wenn eine Regierung dem Staat und der Gesellschaft ihre eigene Ordnung aufzwingen will, anstatt Reformen verfassungskonform zu gestalten und auf Mechanismen der Demokratie zu vertrauen. Der Erfolg nach der Methode der PiS wird eine verheerende und demoralisierende Wirkung haben.
Die Krise wird sich vertiefen
Wie soll es weiter gehen? Die optimistischen Szenarien sind nicht gerade die wahrscheinlichsten: Wird sich der junge Präsident dem Druck der regierenden Partei beugen oder hält er ihn aus? Die Regierung wird keinesfalls einlenken. Sie ruft dazu auf, weder "dem Druck der Straße" noch dem "aus dem Ausland" nachzugeben.
Kaczyński & Co. werden an ihrem radikalen Umbau Polens festhalten. Und deshalb werden weitere Massenproteste in Polen erwartet. Die Fronten verhärten sich und die Gesellschaft wird immer tiefer gespalten. Das bedeutet nichts Gutes für die politische Stabilität des großen Landes mitten in Europa. Und auch nicht für Europa selbst.
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