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Mammutaufgabe Flüchtlinge

Steiner Felix Kommentarbild App
Felix Steiner
19. August 2015

Viermal mehr Flüchtlinge und Asylbewerber als im Vorjahr werden kommen, so viele wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Zeit, fünf banale Erkenntnisse in Erinnerung zu rufen, meint Felix Steiner.

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Maria und Josef auf der Flucht nach Ägypten - Sankt-Fides-Kirche, Schlettstadt, Frankreich (Foto: Felix Steiner)
Der Sohn Gottes - ein Flüchtling! Nordportal der romanischen Sankt-Fides-Kirche im elsässischen SchlettstadtBild: DW/F.Steiner

Die Aufnahme von Flüchtlingen sollte für das christlich geprägte Europa eigentlich selbstverständlich sein. Glauben die Christen doch an den Sohn Gottes, der sich selbst nur durch Flucht vor dem Mord durch einen brutalen Regenten retten konnte. So ist es kein Zufall, dass die verlässlichsten Helfer der Kommunen bei der Versorgung der Neuankömmlinge aus den Kirchengemeinden kommen. Doch insgesamt tut sich das christliche Europa sehr schwer - auch schon lange vor den neuen Prognosen über den enormen Zustrom an Menschen.

Eins: Nicht alle, die kommen, sind Flüchtlinge

Flüchtling - das ist ein völkerrechtlich klar definierter Begriff. Das Gleiche gilt für das Grundrecht, in Deutschland um Asyl zu bitten. Das entscheidende Kriterium ist Verfolgung, nicht Benachteiligung oder wirtschaftliche Not. Die Motive der Menschen, sich auf den Weg nach Europa oder Deutschland zu machen, sind allesamt ehrenwert. Aber mehr als die Hälfte der hier Ankommenden genügt den Kriterien für ein Asylverfahren nicht. Sie wählen diesen Weg, weil sie keine andere Chance haben, Aufnahme zu erbitten.

Nun steht Deutschland vor dem gleichen Problem wie ein Arzt, der am Ort einer Katastrophe im Einsatz ist: Auch wenn man gerne allen helfen möchte - es geht eben nicht. Und deswegen bleiben die Leichtverletzten unberücksichtigt. Obwohl auch sie Schmerzen haben. Und trotz dieses Vorgehens verletzt der Arzt seinen hippokratischen Eid nicht. Er handelt auch nicht unmenschlich, sondern ganz einfach vernünftig. Deswegen müssen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten und wirklich Verfolgte Vorrang haben vor Menschen, die wegen wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat hierher kommen.

Zwei: Die Flüchtlinge werden dauerhaft bleiben

Im Neuen Testament ist es ganz selbstverständlich: Nachdem König Herodes starb, kehrten Jesus, Maria und Josef wieder in ihre Heimat zurück. Doch wer rechnet ernsthaft mit einem friedlichen Syrien oder einem terrorfreien Irak in absehbarer Zukunft? Oder einem stabilen Afghanistan? Freiheit in Eritrea und Somalia? Mit flächendeckendem Wohlstand und Prosperität in Ghana, dem Senegal, Albanien oder dem Kosovo? All das ist extrem unwahrscheinlich.

Vorausschauende Politik muss davon ausgehen, dass die heutigen Flüchtlinge dauerhaft bei uns bleiben, und sich daher um die schnellstmögliche und beste Integration der Neubürger bemühen. Und wenn die Politik ehrlich ist, dann tut sie noch mehr: Da die Krisenherde rund um Europa mehr und nicht weniger werden, richtet sie sich auf mindestens ähnlich hohe Flüchtlingszahlen auch in der Zukunft ein. Und bereitet die Bürger darauf vor.

Drei: Arbeit und Ausbildung fördern Integration

Eigentlich ist das selbstverständlich und alle wissen das. Falls das bisherige Arbeitsverbot für Asylbewerber in Deutschland der Abschreckung dienen sollte, ist dieses Konzept gescheitert. Außerdem hilft es dem Staat am meisten, wenn die Neubürger möglichst schnell auf wirtschaftlich eigenen Beinen stehen. Und das wollen sie ja - hoffen sie doch neben Sicherheit und Freiheit auch auf den Lebensstandard, der hier üblich ist. Viele möchten außerdem ihren zurückgebliebenen Familien mit Geld helfen.

Was heißt das in der Konsequenz? Die Flüchtlinge müssen vor allem da angesiedelt werden, wo es Arbeit gibt. So praktisch die leer stehenden Häuser in der ostdeutschen Provinz für die erste Unterbringung wirken mögen - was sollen die Menschen da? Dann besser staatlich geförderter Wohnungsbau in den boomenden Ballungsräumen. Das Gleiche auf europäischer Ebene: Vor allem Deutschland dringt auf Lastenteilung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. Aber will man ernsthaft junge Flüchtlinge in Länder schicken, die schon jetzt eine Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 30 Prozent haben? So entsteht keine Integration, so entstehen nur Hass und neue soziale Brennpunkte.

DW-Redakteur Felix Steiner (Foto: DW)
DW-Redakteur Felix Steiner

Vier: Der Staat muss seine Gesetze achten

Will er das nicht, dann muss er eben andere machen. Ein Einwanderungsgesetz zum Beispiel. Kann er das nicht, dann ist er ein gescheiterter Staat. Auf jeden Fall verliert er jeden Respekt seiner Bürger, die ihrerseits keinen Grund mehr sehen, sich an staatliche Vorgaben zu halten. Für eine Demokratie, die auf die Zustimmung ihrer Bürger angewiesen ist, ist das brandgefährlich.

Asylverfahren, in denen Tausende Menschen abgelehnt werden, die dann aber doch bleiben können, sind jedenfalls überflüssig. Ebenso wie sogenannte Dublin-Regeln für EU-einheitliche Asylverfahren, die schon seit einem Vierteljahrhundert nicht funktionieren. Also: Regeln abschaffen oder endlich durchsetzen. Auch wenn das unangenehm ist. Alles andere ist Betrug der Bürger.

Der Staat darf, kann und muss aber gegebenenfalls auch gegen seine eigenen Bürger vorgehen: gegen die, die Ausländer tätlich angreifen, Flüchtlingsunterkünfte anzünden oder im Internet in übelster Weise gegen Fremde pöbeln. Vieles davon erfüllt längst den Tatbestand der Volksverhetzung. Und wird dennoch zum Teil unter Klarnamen gepostet. Einige demonstrative Strafverfahren könnten da vielleicht Wunder wirken.

Fünf: Integration klappt nur gesamtgesellschaftlich

Was klingt wie eine Plattitüde aus dem Phrasenbuch für Jungpolitiker, hat einen realen Hintergrund: Die Behörden alleine können die anstehenden Aufgaben nicht lösen. Der Staat braucht zwingend die Bürger, die bereits jetzt in großem Ausmaß Kleider, Spielzeug und Möbel spenden, sich als freiwillige Helfer für Sprachkurse und Begleiter bei Behördengängen melden. Und die die Flüchtlinge als neue Nachbarn annehmen. Das wird umso leichter gelingen, je schneller bürokratische Prozeduren abgeschlossen werden, die Menschen Lager und Sammelquartiere verlassen und in normale Wohnungen einziehen können. Es würde aber auch helfen, wenn die Bundeskanzlerin einfach mal sagt: "Wir stehen vor einer großen Herausforderung - ich brauche Ihre Hilfe!"

Zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gehört jedoch zugleich: Viele Menschen in Deutschland haben Angst vor den ankommenden Flüchtlingen. Insbesondere im Osten des Landes sowie unter den Armen und Geringqualifizierten ist die Sorge groß, ihnen könnte etwas genommen werden - Wohnung, Arbeit, soziale Ansprüche. Eine glaubwürdige Politik muss auch diese Sorgen ernst nehmen und Sicherheit geben: Deutschland schafft das! Wer, wenn nicht Deutschland?