Ein Prozess allein reicht nicht
Nun ergehen sich wieder alle in Hymnen. Schwärmen vom "Wendepunkt beim Kampf gegen Straflosigkeit". Betonen, wie wichtig es ist, dass Verbrechen afrikanischer Machthaber nicht ungesühnt bleiben. Sehen darin ein wichtiges Signal an amtierende Präsidenten des Kontinents, die es mit der Demokratie und den Menschenrechten nicht so genau nehmen. Loben, dass die Opfer der Diktatur des ehemaligen Machthabers nun endlich Gerechtigkeit erfahren.
Das stimmt alles.
Und doch stellt sich die Frage: Reicht das? Und die Antwort lautet: Nein!
Nein - denn es reicht nicht, erst im Nachhinein die Justiz sprechen zu lassen.
Hissène Habré ist heute 72 Jahre alt. Seine Schreckensherrschaft im Tschad (1982-1990) liegt 25 Jahre zurück. Ihm werden zehntausende Fälle von Folter vorgeworfen, er soll für den Tod von 40.000 Menschen verantwortlich sein, seine Geheimpolizei verbreitete acht Jahre lang Angst und Schrecken.
Doch erst seit Montag (20.7.2015) wird ihm im Senegal der Prozess gemacht. Er ist damit der erste afrikanische (Ex-)Machthaber, der in Afrika selbst angeklagt wird. Vor einem Sondertribunal, das der Senegal und die Afrikanische Union eigens für ihn geschaffen haben und für das auch europäische Staaten zahlen. Das ist eine ganz neue Dimension.
Aber was ist in den 25 Jahren zwischen dem Ende der Herrschaft Habrés und dem ersten Prozesstag passiert? Und was in den acht Jahren seiner Diktatur? Hat damals keiner gesehen, was im Tschad vor sich ging? Oder waren andere Dinge wichtiger? Das sind die Fragen, die auch gestellt werden müssen.
Gedeckt und geduldet
Habré lebte mehr als 22 Jahre unbehelligt in einem der nobelsten Viertel der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Er galt seinen Nachbarn als diskreter, wohltätiger Muslim, hatte Frau und Kinder. Der senegalesische Staat glänzte viele Jahre lang durch Untätigkeit. Er wusste um die Präsenz des Diktators - so wie andere afrikanische Staaten derzeit wissen, welche Ex-Diktatoren oder Putschisten sich in ihren Grenzen befinden. Erst vor zwei Jahren wurde Habré verhaftet - und das, obwohl bereits seit 2005 ein internationaler Haftbefehl aus Belgien gegen ihn vorlag.
Auch Frankreich und die USA müssen sich einmal mehr fragen (lassen), welche fragwürdigen Diktatoren sie stützen. Denn während seiner furchtbaren Herrschaft war sich Habré der Unterstützung aus Paris und Washington sicher: Sie sahen in ihm einen willigen Gehilfen im Kampf gegen den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi und dessen Bestreben, seinen Einfluss auf ganz Afrika auszudehnen.
Erst als sie die Augen nicht mehr verschließen konnten vor den Brutalitäten und Menschenrechtsverletzungen des Habré-Regimes, ließen sie den Diktator im Jahr 1990 fallen.
Frankreichs neuer Schützling allerdings, Idriss Déby, der damals gegen den in Ungnade gefallenen Habré putschte und heute seit einem Vierteljahrhundert Präsident des Tschads ist, ist keine bessere Wahl als sein Vorgänger. Auch ihm werden unzählige Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Doch auch er gilt nun wieder als wichtiger Verbündeter und Gehilfe - diesmal ist es nicht der Kampf gegen Gaddafi, sondern der gegen den Islamismus, der über die Interessen der tschadischen Opfer gestellt wird.
Es soll an dieser Stelle kein Plädoyer gegen den Prozess gehalten werden. Denn dass sich Habré vor der Justiz verantwortet, ist mehr als überfällig. Doch ein solcher Prozess allein reicht nicht aus als Signal für afrikanische oder andere Machthaber, denen man zeigen will, dass ihre Verbrechen nicht ungesühnt bleiben. Dafür braucht es auch weniger Opportunismus und weniger interessengeleitetes Handeln jedes einzelnen Staates der internationalen Gemeinschaft. Aber davon ist die Welt noch weit entfernt.