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Fatih Akins Kino der Emotionen

Jochen Kürten
Jochen Kürten
8. Januar 2018

Mit dem Gewinn eines "Golden Globe" ist der Name Fatih Akin endgültig auch in Hollywood angekommen. Verdient hat der Regisseur den Preis für sein Drama "Aus dem Nichts" auf jeden Fall, meint Jochen Kürten.

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Fatih Akin Regisseur
Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Es sind nur rund 100 Filmjournalisten, die alljährlich die Golden Globes vergeben. Im Vergleich zu der Oscar-Akademie, die ein paar tausend Mitglieder hat, ist das eine verschwindend geringe Zahl. Aber diese Hundert kennen sich aus. Schließlich sind es Menschen vom Fach: die in Hollywood akkreditieren Filmjournalisten. Dass sie jetzt Fatih Akin in der Kategorie "Bester nicht-englischsprachiger Film" einen Golden Globe verliehen haben, ist einerseits eine Überraschung, andererseits aber auch eine Entscheidung, mit der man rechnen konnte.

Überraschend deswegen, weil sich Akin gegen die Gewinner der Goldenen Palme von Cannes und des Goldenen Löwen von Venedig durchgesetzt hat. "The Square" des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund hatte im Dezember zudem den Europäischen Filmpreis erhalten, den "europäischen Oscar". Akins Film "Aus dem Nichts" war hingegen beim Festival in Cannes, wo er im vergangenen Mai Weltpremiere feierte, übergangen worden. Am Ende blieb "nur" der Preis für die beste weibliche Hauptdarstellerin Diane Kruger.

Weltkino mit starken Werken

In Venedig hatte sich der mexikanische Regisseur Guillermo del Torro mit "Shape of Water" gegen sehr starke Konkurrenz aus aller Welt durchgesetzt und den Goldenen Löwen gewonnen. Die internationale Kritikerschar zeigte sich begeistert vom Film des Mexikaners.

Unter den fünf nominierten Filmen in dieser speziellen Golden-Globe-Kategorie, die das gesamte Weltkino im Blickfeld hat und alles zusammenfasst, was nicht zum englischsprachigen Kino gehört, waren noch andere Schwergewichte im Rennen: Starschauspielerin Angelina Jolie mit ihrem Regie-Werk "First They Killed My Father", der Chilene Sebastián Lelio mit seiner beeindruckenden Transgender-Geschichte "Eine fantastische Frau", die schon bei der letztjährigen Berlinale lief sowie Russlands Regiestar Andrey Svyagintsev mit seinem Film "Nelyubov". All diese Filme hatten bereits Preise auf wichtigen Festivals gewonnen - in Berlin, Cannes und Venedig.

Insofern ist die aktuelle Golden-Globe-Auszeichnung für Fatih Akins Film durchaus eine Überraschung. Vor allem "The Square" und "Shape of Water" waren gefeierte künstlerische Filmwerke, die international ein breites Echo ausgelöst hatten. Sie alle hat nun der deutsche Regisseur mit den türkischen Wurzeln in der Endausscheidung der Golden Globes geschlagen.

Der emotionalste Film unter den Nominierten

Für diese Entscheidung gibt es nur einen nachvollziehbaren Grund: "Aus dem Nichts" ist der Film mit der größten emotionalen Wirkung unter den nominierten Werken! Mag sein, dass "The Square", "Shape of Water" und auch "Nelyubov" von vielen Fachleuten als künstlerisch gelungener eingestuft werden. Doch die 100 Journalisten in Hollywood haben ein anderes Kriterium höher bewertet.

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DW-Redakteur Jochen Kürten

Hollywood ist der Schmelztiegel des amerikanischen Kinos. Nirgendwo sonst (von Bollywood einmal abgesehen) spielen die Emotionen im Kino eine solch große Rolle. Auf der Leinwand, aber auch im Umfeld der Filmproduktion. Hollywood bewegt die Massen. Und schafft oft auch Emotionen. Hierzu passt Akins "Aus dem Nichts" bestens.

Es gibt wohl keinen anderen deutschen Regisseur, der seine Themen derart packend und eindringlich auf die Kinoleinwand bringt. Das war auch schon bei seinem ersten großen Erfolg "Gegen die Wand" vor 13 Jahren der Fall. In seinen besten Arbeiten gelingt es Fatih Akin, die Zuschauer unmittelbar im Zentrum ihrer Gefühlswelt anzugreifen. Dem Sog der jeweils von Akin erzählten Geschichten kann man sich dann kaum entziehen.

So ist auch die Leidensgeschichte der Hauptfigur im jetzt ausgezeichneten Werk mit einer emotionalen Wucht inszeniert, dass - zumindest in den beiden ersten Filmdritteln - dem Zuschauer schier der Atem stockt. Das ist nicht zuletzt auch das Verdienst der überzeugenden Diane Kruger.

Kein makelloses filmisches Meisterwerk

Erst im letzten Drittel des Films, in dem Akin seine Protagonistin zu einem Racheengel stilisiert, gerät manches in Schieflage. Da verliert der Film phasenweise einen überzeugenden erzählerischen Faden. Das wurde auch von einigen Kritikern in Deutschland bemängelt. Ein makelloses filmisches Meisterwerk ist "Aus dem Nichts" nicht. Doch die Golden-Globe-Journalisten hat das nicht gestört.

Sie haben sich mitreißen lassen von einer Story, die ja nicht zuletzt auch von hoher politischer Relevanz und Dringlichkeit ist. In "The Square" geht es um die Mechanismen der Kunstwelt, "Shape of Water" blendet zurück in längst vergangene Jahrzehnte. Da ist "Aus dem Nichts" aus ganz anderem Filmholz geschnitzt. Er ist aktuell. Und emotional. Und ergreifend. Und deswegen ist der Golden Globe für Fatih Akin verdient.

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