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Erdogan-Schelte zur rechten Zeit

Fuchs Richard Kommentarbild App
Richard A. Fuchs
9. Juni 2016

Die Hetze aus Ankara gegen deutsche Abgeordnete muss aufhören. Bundestagspräsident Lammert hat ein Signal gesetzt. Gut so. Aber die großen türkischen Organisationen ducken sich bislang weg, meint Richard Fuchs.

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Die Armenienresolution im Bundestag, Blick auf die Besucherebene (Foto: picture-alliance/dpa/M. Kappeler)
Mitglieder der Initiative "Anerkennung Jetzt" auf der Besuchertribüne im Bundestag nach der Armenien-ResolutionBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Die Wahl des richtigen Zeitpunkts kann entscheidend sein. Bundestagspräsident Norbert Lammert gibt ein gutes Beispiel dafür ab, wie entscheidend. Und er gibt ein noch besseres Beispiel dafür ab, wann ein Zeitpunkt gut gewählt ist. Genau eine Woche ist vergangen, seit der Deutsche Bundestag mit breiter Mehrheit seine Resolution zum Völkermord an den Armeniern verabschiedet hat. Eine Woche, in der der türkische Präsident meinte, deutsche Abgeordnete mit türkischen Wurzeln mit rassistischer Hetze überziehen zu müssen. Dagegen hat Lammert nun ein klares Zeichen gesetzt.

Das Parlament steht hinter jedem einzelnen Abgeordneten

Wer einzelne Abgeordnete diffamiere, bedrohe oder bloßstelle, so Lammert am Donnerstag zu Beginn der Parlamentssitzung, der treffe damit das gesamte Parlament. Und wer sich mit dem Deutschen Bundestag anlege, der lege sich mit allen Demokraten in diesem Land an. Bravo Norbert Lammert! So sieht eine durch und durch demokratische Drohkulisse aus. Das ist die richtige Antwort auf haltlose Hetze - gesprochen im Namen aller Bundestagsfraktionen!

Denn die Armenien-Resolution der vergangenen Woche, so umstritten die Völkermord-Anerkennung für Türken auch sein mag, ist nach allen Regeln der parlamentarischen Demokratie zustande gekommen. Gemeinsam und mit überwältigender Mehrheit bekannte sich das Parlament zur deutschen Mitschuld am Genozid von 1,5 Millionen Armeniern.

Richard Fuchs, Korrespondent im DW-Hauptstadtstudio Foto: DW
Richard Fuchs, Korrespondent im DW-Hauptstadtstudio

Wenn der türkische Präsident nun glaubt, deshalb die türkischstämmigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages zum Freiwild für Schläger und Mordbriefschreiber erklären zu können, dann darf er damit nicht durchkommen. Nicht für Stunden und schon gar nicht für Tage. Da gilt es jetzt zu antworten, entschieden und auch gerne mit dem türkischen Wort "Dur", zu Deutsch: Halt! Bis hierher und keinesfalls weiter!

Merkel und den türkischen Verbänden fehlt das Timing

Vielen anderen fehlt das Gespür für die richtigen Worte zur rechten Zeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel gehört leider dazu. Ihr dürrer Kommentar, man halte Erdogans Gefasel über unreines türkisches Blut für "nicht nachvollziehbar" - das war die verpasste Chance auf eine deutliche Zurückweisung. Und auch Andere lassen Klarheit vermissen: Bundestagspräsident Norbert Lammert wies zu Recht darauf hin, dass viele der sonst so lautstark polternden türkischen Organisationen in Deutschland offenbar auf Tauchstation gegangen sind.

Wo ist der Widerspruch zu Erdogans Hetzkampagne gegen gewählte Abgeordnete bei all jenen, die als türkischstämmige Demokraten in dieser Gesellschaft verankert sein wollen? Fehlt es allein am Gespür für den Zeitpunkt? Oder fehlt es an demokratischer Kultur? An Loyalität zu den demokratisch gewählten Vertretern des deutschen Volkes? Nur die Türkische Gemeinde in Deutschland, ein relativ kleiner Verband, wies die Hasstiraden als "abscheulich und deplatziert" zurück. Vom Moschee-Dachverband Ditib, der im Namen der türkischen Regierung in Deutschland arbeitet, war hingegen keine klar adressierte Kritik zu hören.

Kein Dialog, zur falschen Zeit

Noch schlimmer: Den für Donnerstag geplanten Iftar-Empfang zum Beginn des Fastenmonats Ramadan hat die Ditib abgesagt. Ehrengast hätte Norbert Lammert sein sollen. "Wozu Hass und aggressive Ablehnung führen, haben wir aktuell erlebt" heißt es kryptisch in der Pressemitteilung. Es habe Drohungen gegen die Veranstaltung gegeben. Die Absage des Termins, welcher seiner Idee nach der Aussprache und Versöhnung mit Andersdenkenden dient, will die Ditib als Mahnung verstanden wissen. Ein deutlich erhöhter Polizeischutz für den Traditionstermin wäre allemal die bessere Alternative gewesen. So entsteht der Eindruck, der türkisch-islamische Dachverband sei nach der Armenien-Resolution nicht mehr an einem Treffen mit dem Bundestagspräsidenten interessiert. Das ist jedoch gerade nach den Ausfällen von Präsident Erdogan fatal: Wer Meinungsverschiedenheiten nicht mit dem Präsidenten des Parlaments diskutieren will, der muss sich Fragen gefallen lassen. Und zwar nicht nur Fragen über die Wahl des richtigen Zeitpunkts.

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