Wenn man die Kommentare und Analysen im Vorfeld des TV-Duells las, konnte man den Eindruck gewinnen, dass das Aufeinandertreffen zwischen dem AKP-Kandidaten Binali Yildirim und seinem Herausforderer Ekrem Imamoglu DAS TV-Ereignis des Jahres sein würde. Laut Umfragen hatten über 70 Prozent der Türken angekündigt, sich das Duell nicht entgehen lassen zu wollen. Doch was als Duell gedacht war, entpuppte sich eher als das Aufsagen einstudierter Wahlwerbung und nicht als politischer Schlagabtausch, wie wir es beispielsweise aus Deutschland oder den USA gewohnt sind.
Die beiden Parteien hatten sich darauf geeinigt, dass ein renommierter, unabhängiger Journalist das Duell moderieren sollte. Doch statt ein spannendes Gespräch zwischen den Kandidaten zu initiieren, fungierte Ismail Kücükkaya vor allem als Zeitnehmer - denn jeder Kandidat hatte jeweils maximal drei Minuten Zeit, um auf eine Frage zu antworten. So wurde ein Fragenkatalog abgearbeitet, der kaum Spielraum für die Vertiefung von Themen zuließ. Zweimal 50 Minuten mit einer zehnminütigen Werbepause waren geplant. Am Ende wurden es dann drei Stunden.
Kein Kandidat konnte überzeugen
Drei Stunden meines Lebens habe ich damit verschwendet, zwei Politikern zuzuhören, die Bürgermeister der größten türkischen Metropole werden wollen, aber in keinster Weise überzeugen konnten.
Der Moderator sprang zu oft von Thema zu Thema - ein Konzept schien es nicht zu geben. Da hätte man gerne gewusst, was die beiden Kandidaten zu den wesentlichsten Problemen der Bosporusmetropole - Verkehr, Arbeitslosigkeit, Umwelt und vor allem zur Flüchtlingssituation - zu sagen haben. Doch genau diese Fragen wurden nur in den Abschlussstatements angerissen. In dem ersten Teil der Sendung ging es vor allem darum, sich gegenseitig vorzuwerfen, wer schuld ist an der Wiederholung dieser Wahl.
Erst im zweiten Teil liefen die Kandidaten endlich warm: Auf die Frage, was sie denn jeweils als Bürgermeister von Istanbul anpacken wollen, zogen beide Kandidaten akribisch vorbereitete Charts hervor. Auf diesen Mitbringseln zeigten sie dann, welche Projekte sie in Zukunft angehen möchten.
Ein Journalist schaltete sich in die Sendung ein: Per Twitter stellte er die Frage, was denn die AKP in den beiden vergangenen Jahrzehnten überhaupt zustande gebracht habe? Ein guter Punkt! Ja, die AKP hat das U-Bahn-Netz der Stadt erweitert, einen Tunnel, der Asien und Europa verbindet, gebaut - allgemein die Infrastruktur in der ganzen Stadt verbessert. Doch das allein reicht den Istanbulern nicht, denn die Stadt entwickelt sich immer mehr zu einer Betonwüste. Vor allem aber: Kaum jemand findet eine qualifizierte Arbeit oder einen Kindergartenplatz.
Binali Yildirim und die Jugend
Der AKP-Kandidat Yildirim, der eigentlich nicht als glänzender Rhetoriker gilt, zeigte sich unerwartet schlagfertig und hatte oft gute Antworten parat. Und doch trat der 63-Jährige in so manchen Fettnapf: Peinlich der Moment, als er zugeben musste, den aktuellen Rechenschaftsbericht über die Ausgaben der Stadt Istanbul nicht gelesen zu haben. Die Häme in den sozialen Netzwerken folgte unmittelbar. Und auch Yildirims Satz "Die Jugendlichen sind meine Kumpels!" kam nicht besonders gut an. Denn insbesondere unter jungen Istanbulern ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch. Die Perspektivlosigkeit und unsichere politische Lage im Land zwingt viele junge Türken ins europäische Ausland, um dort einen Neuanfang zu wagen. Da ist es kein Wunder, dass das junge Wahlvolk für einen solchen Satz nur Hohn übrig hat.
Eine Woche vor der Neuwahlen dürfte vielen Zuschauern vor allem eine Botschaft im Kopf geblieben sein: der Appell Ekrem Imamoglus, die Polarisierung in Istanbul und im ganzen Land zu beenden und wieder zu einem Miteinander aller Türken zurückzukehren. Auch wenn dies nur ein kleiner Hoffnungsschimmer gewesen ist - Hoffnung kann man in der Türkei zurzeit in jeder Form gebrauchen.