Sie haben es geschafft. Endlich. Und sie sind geschafft. 135 Tage nach der Bundestagswahl liegt nun nach unendlich anmutendem Ringen ein Koalitionsvertrag vor. Doch nach dem großen Verhandeln folgt das große Zittern. Denn für die nächsten Wochen ist der Vertrag allein der Beleg einer guten Absicht. Geschafft ist es noch nicht.
Aber Deutschland ist einer Regierungsbildung immerhin näher gekommen. Wie wichtig das ist, zeigt ein Blick auf den Tagesplan der Bundeskanzlerin für den Donnerstag: Am Mittag empfängt Merkel den Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, am Abend EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Europa wartet auf Deutschland, diese starke Kraft in der EU neben dem Frankreich von Emmanuel Macron. Und es wartet schon lange. Das Zeitfenster für Reformen in der EU, die ja auch im Koalitionsvertrag thematisiert sind, wird bereits kleiner.
Fehlendes Vertrauen der Partner
Europa ist ein, wenn nicht - je nachdem, wie man es liest - sogar der zentrale Schwerpunkt dieses Koalitionsvertrags. Dazu gehören eben auch die Fragen der Außenpolitik, die auf der Zielgeraden noch einmal aufbrachen. Innenpolitisch ist der große Leitbegriff bislang schwer auszumachen. Dass der Begriff "Heimat" im Titel des Innenministeriums auftaucht (in Bayern gibt es das schon länger), ist bemerkenswert angesichts der bei weitem nicht nur populistisch gefärbten Debatte um Identität und Globalisierung, die in Deutschland geführt wird.
Der Umfang und die Detailliertheit des 177 Seiten umfassenden Vertragswerks stehen für Regelungs-Sorgfalt, aber eben auch für fehlendes Vertrauen der Partner. Der Bundestag bekommt ein dickes Buch zum Abarbeiten in den verbleibenden dreieinhalb Jahren der Legislaturperiode. Die Anstöße kommen aus den Spitzen der drei Parteien in der Koalition, nicht primär von den Abgeordneten.
Und doch - die Einigung steht noch unter einem entscheidenden Vorbehalt: Sie muss in der SPD noch die Hürde des Mitgliederentscheids nehmen. 2013 war das kein Problem - da stimmten mehr als drei Viertel der Basis zu. 2018 wird das anders sein. Beim Parteitag gaben überhaupt nur rund 56 Prozent der Delegierten ihr Plazet zum Führen von Verhandlungen. Und die Gegner einer neuen großen Koalition, vor allem bei der SPD-Jugend kämpfen seit langem für ein Nein beim Entscheid der 464.000 Parteimitglieder, von denen mehr als 24.000 erst in den vergangenen vier Wochen beigetreten sind.
Aber das nun durchsickernde Minister-Tableau zeigt die Hartnäckigkeit, mit der sich die Sozialdemokraten durch die Nacht kämpften. Es überrascht, welche Ministerien an die SPD gehen sollen. Mehr konnte die SPD wirklich nicht erreichen. Vor allem fällt auf, dass das Auswärtige Amt und das Finanzministerium rot sein sollen. In der Vergangenheit waren die einander kontrollierenden Häuser zumeist in der Hand verschiedener Parteien.
Grummeln gegen Merkel nimmt zu
Die Unwägbarkeit des SPD-Mitgliederentscheids bleibt. Aber ähnlich spannend wird es auch auf Seiten der Union werden. Denn der Verhandlungserfolg des einen bedeutet das Nachgeben des anderen. Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, hatte Dienstag früh, als sie letztmals zu den Verhandlungen kam, von "schmerzhaften Kompromissen" gesprochen, die zu schließen seien. Die Vereinbarungen lassen nun erkennen, was sie meinte. Merkel wird diesen Schmerz an ihrer Basis vermitteln müssen. Die CDU selbst steht zwar nicht vor einem Mitgliederentscheid oder einem Parteitag. Aber das partei-interne Grummeln über die Vorsitzende wird nicht leiser werden.
Es bleibt dabei: Gut und überfällig, dass die neue Koalition nun wieder einen Schritt näherrückt. Deutschland funktioniert inzwischen zu lange, seit nun 135 Tagen, nur mit einer geschäftsführenden, das heißt nur eingeschränkt handlungsfähigen Regierung. Aber bei aller Erleichterung im jetzigen Moment: Die letzten Hürden werden erst im März genommen. Es wird Zeit.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!