Natürlich ist vorsätzliche Brandstiftung abzulehnen, wenn es sie im Flüchtlingslager in Moria auf Lesbos denn gegeben hat. Eventuelle Täter müssen bestraft werden. Aber die Hilfsorganisationen und die Gesundheitsbehörde in Griechenland selbst haben seit langem davor gewarnt, dass die völlig überfüllten "Hot spot"-Lager Zeitbomben sind. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die unhaltbaren Zustände dort zu einer Explosion von Gewalt und Chaos führen würden.
Die restriktive Flüchtlingspolitik der Europäischen Union führt dazu, dass die Menschen in den Registrierungslagern auf den griechischen Inseln festgehalten werden müssen. Die meisten der Migranten sollen ja in die Türkei abgeschoben werden. Unter katastrophalen Bedingungen warten sie auf den Ausgang ihrer Asylverfahren, die sich entgegen der ursprünglichen Pläne über Monate hinziehen. Die griechische Regierung und die Europäische Union sind nicht in der Lage, ein menschenwürdiges, zügiges und geordnetes Verfahren zu organisieren.
Die versprochenen Lösungen stehen aus
Das ist eine Schande für die extreme Links-Rechts-Koalition in Athen, es ist aber auch eine Schande für alle EU-Staats- und Regierungschefs, die im März nach ihrem Deal mit der Türkei vollmundig eine Lösung der Flüchtlingskrise versprochen hatten. In ganz Griechenland sitzen etwa 60.000 Migranten fest. Die EU-Kommission schaufelt ohne Unterlass Geld nach Griechenland. Die griechischen Behörden sind aber nicht in der Lage, dieses Geld überhaupt anzunehmen und vor Ort in eine sinnvolle Unterbringung der Flüchtlinge und bessere Verfahren zu organisieren.
Die übrigen Mitgliedsstaaten hatten Personal zur Unterstützung zugesagt. Doch nur ein kleiner Teil ist wirklich in den "Hot spots" im Einsatz. Die mehrfach beschlossene Umverteilung von Asylsuchenden aus Griechenland und auch Italien auf andere EU-Staaten wird konsequent blockiert und verweigert.
Den Sommer über hat die EU angestrengt weggeschaut, wenn es um Flüchtlinge und Migranten ging. Dabei laufen nicht nur in Griechenland die Lager über, auch in Calais in Frankreich, an der französisch-italienischen Grenze und der italienisch-schweizerischen Grenze und auch entlang der Balkanroute gibt es immer noch wilde Lager von verzweifelten Migranten. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Italien laufen die regulären Aufnahmeeinrichtungen langsam voll. Dort können die Menschen, schon aus geografischen Gründen nicht so einfach festgehalten werden wie auf den griechischen Inseln. Sie machen sich auf nach Norden in der vagen Hoffnung, sich doch noch irgendwie nach Deutschland oder Großbritannien durchzuschlagen.
Keine Änderung auch in Italien
In Italien kommen fast genauso so viele Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten über die Libyen-Route an wie im vorigen Jahr. Wöchentlich werden Tausende auf dem Mittelmeer gerettet. Tausende sind aber auch ertrunken in diesem Jahr, mehr als je zuvor. Einer von 89 Migranten ertrinkt auf dem Weg. Im vergangenen Jahr war es nur einer von 276. Das Mittelmeer ist ein Friedhof. Auch das ist eine Schande. Eine Schande für die menschlichen Werte in der EU, was aber offenbar niemanden mehr aufregt.
Über diese tägliche Tragödie hat sich der Mantel des Schweigens gebreitet. Nur wenn es, wie jetzt in Moria, extreme Auswüchse und schreckliche Bilder von Gewalt und Feuer gibt, regt sich wieder etwas Interesse. Die Politik ist weitgehend abgetaucht und tut so, als habe sie die Flüchtlingskrise im Griff. Hat sie aber nicht. Von "wir schaffen das" kann auf europäischer Ebene überhaupt keine Rede sein.
Das einzige, was heute besser funktioniert ist die Abschreckung der Asylsuchenden und die Abschottung der Grenzen. Die Verfahren für die Flüchtlinge und die Verteilung der Menschen in Europa sind genauso schlecht organisiert wie vor einem Jahr als die Bundeskanzlerin ihren berühmten Satz formulierte. Den bedauert sie inzwischen aus vielerlei Gründen. Die EU hat es nicht geschafft, die Flüchtlingskrise mit Anstand zu meistern. Moria ist dafür das traurige Symbol.
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