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Ein Gnadenakt, keine Rehabilitation

26. November 2015

Schuld erneut bestätigt, dann aber auf freien Fuß gesetzt: Die Haftverschonung für die chinesische Journalistin Gao Yu ist eine gute Nachricht. Aber sie hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, meint Matthias von Hein.

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DW-Video Gao Yu
Bild: DW

Es ist ein guter Tag für Gao Yu. Es ist gut, dass die 71-jährige DW-Mitarbeiterin das Gefängnis verlassen durfte, dass sie wieder im Kreise ihrer Familie ist, dass sie sich jetzt in angemessene medizinische Behandlung begeben kann. Endlich, möchte man sagen: nach über eineinhalb Jahren Haft, nach einer dramatischen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands, nach endlosen Verhören, nach Drohungen, nach der Ausstrahlung eines erzwungenen Geständnisses im chinesischen Staatsfernsehen. Und nachdem sie bereits in den 1990er-Jahren wegen ihrer journalistischen Arbeit über sieben Jahre in Haft saß.

Aber eine Freilassung ist das nicht und erst recht keine Rehabilitation: Gao darf lediglich ihre Haft außerhalb des Gefängnisses absitzen, stellte die Nachrichtenagentur Xinhua klar. Die chinesische Justiz lässt keinen Zweifel daran: In ihren Augen ist die Überstellung Gao Yus in den offenen Vollzug ein reiner Gnadenakt aus medizinischen Gründen. Das Berufungsgericht hat zuvor noch einmal die Schuld der Journalistin festgestellt, auch wenn die Haftstrafe von sieben auf fünf Jahre reduziert worden war. Der Vorwurf der Behörden: Gao Yu soll "Staatsgeheimnisse" verraten haben. Angeblich soll sie sich beim Berufungsverfahren schuldig bekannt haben - wohl der Preis für ihre Haftverschonung.

Staatsgeheimnis - ein nützlicher, weil schwammiger Begriff

Wegen der schwammigen Definition von "Staatsgeheimnissen" wird der Vorwurf ihres Verrats immer wieder benutzt, wenn Journalisten und Dissidenten zum Schweigen gebracht werden sollen. Außerdem praktisch für die Machthaber: Geht es in Justizverfahren um Staatsgeheimnisse, muss der Prozess nicht öffentlich geführt werden.

Als dementsprechend am Dienstag das Berufungsverfahren gegen Gao unter Ausschluss der Öffentlichkeit begann, fand auch der 13. Menschenrechtsdialog zwischen der deutschen und der chinesischen Regierung statt. Dabei brachte die deutsche Seite auch den Fall Gao Yus vor - und erntete frostige Reaktionen der chinesischen Gastgeber. Inwieweit der anhaltende Druck aus dem Ausland zur Besserung der Lage von Gao Yu beigetragen hat, ist schwer zu sagen. Wichtig war er auf jeden Fall. Und der Einsatz hat sich gelohnt. Mit der Entlassung in eine Art des offenen Strafvollzugs kommt das Oberste Volksgericht Pekings den Forderungen des Auslands entgegen - und wahrt zugleich das Gesicht. Gao Yus Anwalt Mo Shaoping nennt das einen "Vergleich chinesischer Prägung".

von Hein Matthias Kommentarbild App
DW-Redakteur Matthias von Hein

Beim Menschenrechtsdialog war der deutschen Seite noch kühl mitgeteilt worden, sie solle die Unabhängigkeit der chinesischen Justiz respektieren. Es entbehrt nicht der Ironie: Die Unabhängigkeit der chinesischen Justiz gehört zu genau den Punkten, vor denen das sogenannte "Dokument Nr. 9" warnt, das Gao verraten haben soll. Das Papier warnte Parteikader im Frühjahr 2013 ausdrücklich vor sieben für die Parteiherrschaft gefährlichen Themen. Neben der Unabhängigkeit der Justiz zählten dazu: universale Werte, Zivilgesellschaft, Bürgerrechte, Pressefreiheit, Fehler der Partei in der Vergangenheit und Privilegien der Kader. Weder Medien noch Hochschulen sollten sich damit beschäftigen.

China bleibt ein repressiver Staat

Allerdings beschäftigt sich die Justiz mit diesen Themen. Denn wer sich doch für universale Werte einsetzt oder für Pressefreiheit, wer sich für die Fehler der Partei in der Vergangenheit oder die Privilegien der Kader in der Gegenwart interessiert, der gerät ins Visier der Behörden. In einer beispiellosen Welle der Verfolgung wurden seit Sommer 2013 Journalisten und Blogger verhaftet. Über 100 sind noch in Haft, weswegen China auf der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" einen traurigen Platz 176 von 180 einnimmt.

In einer ebenso beispiellosen Verfolgungswelle wurden seit Sommer dieses Jahres rund 300 Anwälte, Mitarbeiter von Kanzleien, Menschenrechtsaktivisten oder deren Familienangehörige verhaftet oder unter Hausarrest gestellt. Etwa 30 sitzen wohl noch immer in Gefängnissen. Rechtssicherheit sieht anders aus! Rechtssicherheit, an der auch ausländische Investoren und Geschäftspartner größtes Interesse haben. Und bei aller Freude über die Haftverschonung für Gao Yu: Gnadenakte sind kein Ersatz für Rechtssicherheit!

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Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein