Der Vertrag, der es den USA und Russland verbot, landgestützte Raketen und Marschflugkörper mittlerer Reichweite zu entwickeln, nuklear zu bewaffnen und aufzustellen, ist seit heute Geschichte. Das ist eine Belastung für die Sicherheitsarchitektur in Europa, denn für diesen Kontinent war der INF-Vertrag vor 32 Jahren abgeschlossen worden.
Die USA und die damalige Sowjetunion einigten sich nach vorangegangenem Wettrüsten darauf, eine komplette Waffenkategorie abzuschaffen. Eine überflüssige und kostspielige Bedrohung wurde von den USA und der Sowjetunion eliminiert, auch zum Vorteil der jeweiligen europäischen Bündnispartner. Ein europäisches Schlachtfeld wurde so unwahrscheinlicher. Die atomare Abschreckungslogik - wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter - blieb allerdings bis heute bestehen. Allerdings auf einem niedrigeren Niveau. Ende der 1980er-Jahre verfügten die USA und die Sowjetunion noch über jeweils 12.000 atomare Sprengköpfe. Heute sind es jeweils rund 1600 auf amerikanischer und russischer Seite.
Vertrauen verspielt
Das Ende des INF-Vertrages zeigt das stetig wachsende Misstrauen zwischen den USA und der NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Seit 2008 tritt Russland zunehmend aggressiver auf. Der Krieg gegen Georgien, die Besetzung der Krim, der Konflikt in der Ostukraine, die Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, die Provokationen an der Ostgrenze der NATO sind aus westlicher Sicht bedrohlich. Die spätestens seit 2014 (nicht erst unter dem chaotischen US-Präsident Donald Trump, sondern viel früher) beobachtete Aufrüstung mit neuen russischen Marschflugkörpern rechtfertigt in letzter Konsequenz die Kündigung des INF-Vertrages durch die USA.
Der Vertrag passte ohnehin nicht mehr in das strategische Umfeld. Er umfasst nicht Staaten wie China, die ihrerseits landgestützte Mittelstreckenwaffen aufgestellt haben. Er bot keine Handhabe für die neuen Raketenabwehrsysteme, die auf NATO-Gebiet zwar gegen Bedrohungen aus dem Iran oder Nordkorea, aber gegen heftigen Widerspruch des Kremls eingerichtet werden. Russland und die NATO bzw. die USA hätten den Vertrag allerdings nicht wegwerfen, sondern unter Einbeziehung anderer Vertragspartner wie China modernisieren sollen. Man hätte auch neue Waffentypen im Internet oder Killer-Roboter berücksichtigen können. Die Chance wurde von Russland verpasst und von den USA nur halbherzig verfolgt.
Die Folge wird jetzt natürlich ein neues Wettrüsten sein. Die USA haben bereits den Test von neuen Marschflugkörpern angekündigt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies heute darauf hin, dass in den 1980er-Jahren auch erst eine "Nachrüstung" des Westens nötig war, um den wirtschaftlich unterlegenen Osten zur Vertragsunterzeichnung zu bringen.
Strategische Rüstungskontrolle retten
Hoffentlich können die beiden großen Nuklearmächte wenigstens ihren Vertrag zur Begrenzung von interkontinentalen Waffen (New START) retten, der die Zahl der Atomwaffen, die zur gegenseitigen Vernichtung bereitgehalten werden, reduzieren soll. In die Neuverhandlung dieses Vertrages sollten auch dringend die anderen Atommächte wie Pakistan, Indien, Israel, Nordkorea oder Iran eingebunden werden. Ob das gelingen kann angesichts der aufgeheizten Stimmung und des starken Misstrauens zwischen den derzeitigen Wortführern im Weißen Haus und im Kreml ist fraglich. Rüstungskontrolle wäre dringend nötig, doch der Weg dahin ist nur schwer zu erkennen.
Der jetzt beerdigte INF-Vertrag kam 1987 auch erst zustande, nachdem in der Sowjetunion die Betonköpfe von KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow abgelöst worden waren. Hoffentlich müssen wir nicht die nächste Generation im Kreml abwarten, um einen sinnvollen Vertrag zur Rüstungsbegrenzung aushandeln zu können. Aber auch auf amerikanischer Seite kann man berechtigte Zweifel haben, ob die derzeitige Administration zu sinnvollen Abrüstungsgesprächen in der Lage ist. Ein unberechenbarer Präsident, der viel außenpolitisches Porzellan zerschlägt und sich mit Falken umgibt, macht nicht gerade Mut.