Die spinnen, die Briten
"Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde!" Ja, das Vereinigte Königreich und das europäische Festland haben eine bewegte Vergangenheit und zahlreiche Raufereien hinter sich. Die Auseinandersetzung darüber, ob die Briten in der EU bleiben sollen oder nicht, verspricht ein weiteres episches Abenteuer zu werden.
Der offizielle Startschuss fällt an diesem Freitag - doch machen wir uns nichts vor: Der Ursprung allen Übels zwischen den Briten und den Vorläufern der EU geht auf das Jahr 1984 zurück, als Margaret Thatcher ihren berühmt-berüchtigten Streit mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Höhe der britischen Beiträge auf die Spitze trieb. In einem legendären Wutanfall beim Gipfeltreffen in Fontainebleau schleuderte sie den europäischen Kollegen symbolisch ihre Handtasche entgegen.
Seit dieser Zeit ist das Verhältnis zwischen Briten und EU von Hassliebe geprägt. Wobei: Viel Liebe ist speziell in Brüssel nicht zu spüren. An der Oberfläche gibt es zwar ein Zähneknirschen über das Referendum und Furcht vor den Folgen eines Brexit für die EU. Denn für die internationale Strahlkraft des europäischen Projekts und die Vision einer geeinten politischen und wirtschaftlichen Supermacht Europa wäre der britische Austritt eine Katastrophe.
Brauchen wir die Briten wirklich?
Aber gräbt man etwas tiefer, stellt man schnell fest, dass die Sorgen aufgesetzt wirken. Die Franzosen, so wie es ihnen zu Eigen ist, lassen ihre Laissez-faire Attitüde heraushängen: Im Zweifel wären sie die lästigen Briten lieber heute als morgen los, um die eigenen Machtansprüche innerhalb der EU zu zementieren und den stotternden französischen-deutschen Motor wieder zum Laufen zu bringen.
Apropos Deutschland: Als faktische Anführerin Europas muss Merkel zumindest nominell David Camerons Vorhaben unterstützen, das bürokratische Monster in Brüssel zu reformieren. Aber ist das mehr als ein Täuschungsmanöver? Deutschland braucht Großbritannien genauso wenig, um seine Ambitionen in Brüssel zu unterstreichen, wie Berlin auch niemanden in der EU braucht - zumindest niemandem vertraut - um die Flüchtlingskrise in seinem Sinne zu meistern (Wir alle wissen, auf wessen Idee und Initiative der Deal mit der Türkei zurückgeht).
Cameron weiß, dass er sich und dem Land einen Bärendienst erwiesen hat mit diesem Referendum. Diese schleichende Einsicht hat dazu geführt, dass er in den vergangenen Wochen geradezu wie ein Besessener versucht, das Schreckgespenst zu bändigen und ein mögliches "Wir wollen draußen bleiben"-Szenario abzuwenden.
Vor wenigen Tagen schrieb er einen Gast-Kommentar für den Daily Telegraph, in dem er ausführlich und detailliert beschrieb, warum ein Brexit "unnötig und waghalsig" wäre. Da fragt man sich, warum Cameron nicht vor Jahren schon mit so viel Einsatz und Herzblut für den Verbleib in der EU gekämpft hat.
Camerons Taktieren
Sollte alles nur Scharade und Täuschung gewesen sein, um seine aufmüpfigen Tory-Hinterbänkler zu beschwichtigen? Dann allerdings muss Cameron innerhalb seiner eigenen Partei schon extrem geschwächt sein, wenn er hierfür solch ein Risiko eingeht. Und es wird ja immer schlimmer: Sein zögerliches Verhalten und sein Schlingerkurs hinsichtlich seiner Verstrickung in die Panama Papers-Affäre haben seine Glaubwürdigkeit und sein Ansehen nun noch weiter beschädigt.
Andererseits: Sein Referendums-Plan könnte reine Taktik sein, um die anderen EU-Staats-und Regierungschefs hinters Licht zu führen - und letztendlich sein Gesicht zu wahren. Für den Fall, dass die Briten tatsächlich für den Austritt stimmen, könnte er behaupten, dass er alles getan hätte, um dieses Szenario zu vermeiden und ausdrücklich auf die negativen Konsequenzen hingewiesen habe. Und überhaupt: Er war ja von Anfang an gegen ein Referendum.
"Niemand ist eine Insel"
Glücklicherweise zeigen die meisten Briten mehr Verstand als Cameron ihnen vermutlich zutraut und lassen sich nicht ein auf seine politische Posse. Zugegeben, der Vorsprung ist knapp - aber in den meisten Umfragen liegen die EU-Befürworter vorne.
Das Vereinigte Königreich ist stolz auf sein Insel-Dasein, stolz auf seine Fähigkeit, widrigen Umständen die Stirn zu bieten, stolz auf seine Underdog-Rolle in Europa. Und es hat jedes Recht dazu - ungeachtet der Schadenfreude, die den Briten aus Brüssel entgegenschlägt, wenn es doch mal schief geht.
Aber darin liegt die Crux, wie es schon der englische Schriftsteller John Donne im 17. Jahrhundert erkannte und treffend beschrieb: "Niemand ist eine Insel". Fast noch wichtiger ist die Passage, die folgt: "… in sich selbst ganz; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinentes, ein Teil des Festlands. Wenn ein Stück ins Meer gespült wird, so ist Europa weniger."
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!