Etwas ist passiert im vergangenen Jahr. Als die Flüchtlinge kamen, im heißen Sommer, im warmen Herbst und auch noch im milden Winter, da wurden plötzlich viele ganz nervös. Zuerst die, die schon immer ihr kleinkariertes Inneres peinlich laut heraus posaunen: Rassisten und die Nazi-Nachgeburt. Doch dann wurden auch viele Gestalter des gesellschaftlichen Lebens schmallippig und ratlos: Bürgermeister in der Provinz, Landespolitiker, Volksvertreter in Berlin. Diese machten aus der Aussage der Kanzlerin, dass wir das nämlich alles schaffen werden mit den Flüchtlingen, eine Frage: Schaffen wir das?
Inzwischen sind die Deutschen so gespalten wie selten zuvor. Kein Thema der jüngeren Vergangenheit polarisiert so wie die Frage, ob das Land ohne jede Kontrolle und in diesem Umfang Flüchtlinge aufnehmen solle? Die Ethik der Helfer steht im Stresstest. Diejenigen, die die eigene Überforderung als vorrangiges Problem sehen, werden mehr und lauter. Längst ist klar: Die Flüchtlingspolitik Angela Merkels hat das Zeug die berühmte gesellschaftliche Mitte der deutschen Gesellschaft zu sprengen. Vermint ist sie schon. Der Konsens, ein Wesensmerkmal der Deutschen, ist in Gefahr. Es droht eine Radikalisierung und das hat Gründe.
Pegida: Ein Phänomen der Straße
Da sind zum Beispiel die Unzufriedenen, die die Macht der Straße neu entdecken. Pegida mag mit seinen durchschnittlich 10.000 Montags-Spaziergängern noch kein wirkliches Krisenphänomen sein. Da wird gegen die Rundfunkgebühren polemisiert, die Energiewende kritisiert und Schulpolitik verhöhnt - alles geschenkt. Merkels Politik der weit offenen Tür hingegen hat den Unzufriedenen einen gemeinsamen Nenner gegeben und der heißt schlicht: Ausländer raus! Man mag entgegen halten, dass Pegida nur im kleinen Maßstab Sachsens agiert. Tatsächlich aber liegen die besorgten Abendländler im Trend eines Rechtsrucks in fast ganz Ost- und Südosteuropa. Kennzeichen sind eine Überhöhung des Nationalen, eine kleinbürgerliche Paranoia vor allem Neuem, Fremden. Die neue Rechte redet sich die komplexe Welt simpel. Es sind die Überforderten des digitalen Zeitalters, die nun eine Sprache, ein Forum, ein Thema gefunden haben.
AfD: Eine Partei macht mobil
Das gilt erst Recht im größeren Maßstab. Die Alternative für Deutschland (AfD) war als konservative und wirtschaftsliberal ausgerichtete Parteineugründung schon klinisch tot, da hat ihr die Flüchtlingspolitik ein zweites Leben geschenkt. Erst war sie nur populistisch, inzwischen sind führende Mitglieder der Partei offen rechtsextremistisch und ausländerfeindlich. Diese Partei sammelt gerade alle ein, die durch Angela Merkels Öffnung der Grenzen ins Protestlager gewechselt sind - bisherige CDU-Wähler genauso wie gestandene Genossen. Aktuell geben Demoskopen der AfD satte zehn Prozent Wählerstimmen. Zehn Prozent für eine Partei, die mitten in einem Radikalisierungsprozess steckt. Es stellt sich die Frage, ob Deutschland es sich leisten kann, eine Flüchtlingspolitik zu betreiben, die so moralisch überlegen daher kommt?
Mehr Verantwortungsethik, weniger Gesinnungsethik
Mit Blick auf die Radikalisierung mitten im Bauch der Gesellschaft ist das mehr als problematisch. Frankreich mag 30 Prozent Front National aushalten, Deutschland aufgrund seiner Geschichte nicht. Es ist gut, dass sich im Spätherbst Realpolitiker eingemischt und Merkel zu Konzessionen bewegt haben, um das Machbare zu organisieren. Der Edelmut, der die Bundesregierung bei der Auslegung des Asylrechts leitete, war und ist aller Ehren wert, gefährdet aber schon mittelfristig den sozialen Frieden. Es gut zu meinen, reicht nicht aus. Man muss verantworten können, was man sich an Großzügigkeit leisten will. Denn gesellschaftliche Stabilität ist auch ein Wert an und für sich. Und das Verhindern einer breiten rechtsextremen Strömung allemal.
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