Kommentar: Die Linke kommt!
1. Februar 2015Eigentlich sollte sich Europa freuen, wenn in Zeiten sinkender Wahlbeteiligung neue Formationen die politische Bühne betreten. Gruppierungen wie Syriza oder Podemos werden nicht von hirnlosen Systemgegnern, sondern gut vorbereiteten jungen Führungsfiguren angetrieben. In Griechenland ist dies Alexis Tsipras, ein brillanter Ingenieur mit charismatischem Lächeln, in Spanien der Hochschullehrer Pablo Iglesias. Sie fordern den Bürger auf, sich des demokratischen Mittels par excellence zu bedienen: seiner Wählerstimme.
Tsipras und Iglesias repräsentieren eine neue europäische Linke, die es versteht, die Stimmen der Verzweifelten zu gewinnen. Auf der anderen Seite setzen sie auf größtmögliche Distanz zum politischen 'Establishment' der etablierten Parteien. Dazu passen Tsipras Entscheidung, mit den konservativen Nationalisten der 'Unabhängigen Griechen' eine Koalition zu bilden und der Ton, den der neue griechische Ministerpräsident gegenüber Brüssel und Berlin anschlägt. Die neue Regierung weigert sich, die Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Kommission als Gesprächspartner anzuerkennen.
Verlorene Generation begehrt auf
Auch Tsipras spanischer Verbündeter Iglesias setzt auf Provokation, wenn er dem spanischsprachigen iranischen Fernsehkanal Hispan TV ein Interview gibt. Das Etikett, sich in die Dienste des iranischen Regimes gestellt zu haben, haftet ihm nun ebenso an wie der Ruf, er wolle das chavistische Modell Venezuelas nach Spanien importieren. Als populistisch und inhaltsleer brandmarken denn auch die politischen Gegner und etablierte Medien die junge spanische Bewegung. Die Anhänger von Podemos beeindruckt das nicht: Sie überfluteten am Samstag die Puerta del Sol, jenen Ort, an dem 2011 die Bewegung der 'Empörten' mit einem monumentalen Zeltlager Gestalt annahm. Aus diesen 'Empörten', einer in ihrer Mehrzahl gut ausgebildeten, akademischen Jugend in einem Land, dessen Jugendarbeitslosigkeit so hoch ist, dass man von einer 'verlorenen Generation' spricht, speist sich die Wählerschaft von Podemos.
Alle Versuche, die Partei zu diskreditieren, scheitern an einer Generation von Anhängern, die diesen Medien schon lange nicht mehr glauben: Ihrer Meinung nach haben sich beide an ihre jeweiligen Geldgeber verkauft. Obendrein trugen einige 'Entlarvungsversuche' groteske Züge, etwa Bemühungen, die akademischen Laufbahnen prominenter Podemos-Vertreter zu zerpflücken. In einem Land, in dem hunderte Korruptionsverfahren gegen Politiker jeglicher Couleur, die an der Macht sind oder waren, eröffnet wurden - auf nationaler Ebene, in Autonomieregierungen und Kommunen - ist der Versuch, solche 'Enthüllungen' zu Schlagzeilen zu machen, fragwürdig.
Spanien ist nicht Griechenland
Sollte Europa erschrocken sein angesichts der Wucht dieser neuen Linken? Unter gewöhnlichen Umständen wären Syriza und ihre radikalen Vorschläge an den Wahlurnen gescheitert. Ihre Stärke liegt nicht in Tsipras' Lächeln, sondern in den Verwüstungen, die die Sparmaßnahmen der 'Troika' in der Bevölkerung angerichtet haben. Samaras, genau wie Rajoy, verkörpern für die Bürger die Unterwerfung unter das 'Diktat'.
Nach dem Sieg von Syriza wiederholten Vertreter der großen Parteien in Spanien in immer neuen Varianten wie ein Mantra den Satz: "Spanien ist nicht Griechenland." In ihm spiegelt sich das allgemeine Entsetzen angesichts von Podemos. Doch er ist auch in einem wörtlichen Sinne wahr: Die Erholung der spanischen Wirtschaft ist zwar bisher nicht in der Wirklichkeit der Bürger angekommen, allerdings sitzt das Land im Gegensatz zu Griechenland auch nicht auf einem Schuldenberg, der unmöglich abzutragen ist.
Schnelle Entzauberung?
Der 'Marsch für den Wandel' bis zur Puerta del Sol war eine Demonstration der Stärke. Doch Podemos muss bis zu den Parlamentswahlen noch viele Prüfungen bestehen, die zeigen werden, welchen Eindruck die Partei auf die Wähler macht. Zwischen März und September stehen verschiedene Regional- und Kommunalwahlen an. In diesen Monaten könnte der Kurs, den Tsipras gegenüber der EU einschlägt, zum größten Feind für Podemos werden. Eine radikale Konfrontation bis hin zu Extremen, die den Verbleib Griechenlands in der Eurozone in Frage stellen, hätte auf die gemäßigte Wählerschaft, die auf der Podemos-Welle mitschwimmt, abschreckende Wirkung.
Vielleicht wird es dann Iglesias sein, der in Zukunft darauf bestehht: "Spanien ist nicht Griechenland." Sein erstes Opfer wäre dann nicht die 'Partido Popular' von Ministerpräsident Rajoy, sondern die traditionelle Linke bis hin zu den spanischen Sozialisten – verschlungen von der Wucht der Podemos-Welle, so wie es der griechischen Pasok mit Syriza ergangen ist.