Und sie bewegt sich doch. Nach vier Jahren Dauerstreit über den Umgang mit Migranten, die von Libyen aus in Booten in Richtung Europa aufbrechen, ist die EU in Malta ein wenig voran gekommen. Aber nicht die ganze EU, nur die großen Kernstaaten Italien, Frankreich und Deutschland sowie Malta haben ein Modell zur Verteilung von Migranten, Asylbewerbern und Flüchtlingen ausgearbeitet, dem sich nun möglichst viele bislang widerborstige Staaten anschließen müssten, damit es dauerhaft funktioniert.
Beim formellen EU-Ministerrat im Oktober wird es zum Schwur kommen. Selbst Optimisten in der EU erwarten, dass nicht mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten an einem verbindlichen Verteilmechanismus teilnehmen werden. Die andere Hälfte versteckt sich hinter Ungarn und Polen, die störrisch, nationalistisch und auch rechtswidrig die Aufnahme von Migranten, Asylbewerbern oder Flüchtlingen komplett verweigern. Da in Italien jetzt eine gemäßigt populistische Regierung am Ruder ist, scheint ein Kurswechsel in greifbarer Nähe. Die neue parteilose Innenministerin Luciana Lamorgese wird die italienischen Häfen für private Rettungsschiffe wieder zugänglich machen, sobald ein konkreter Verteilmechanismus beschlossen ist. Ihr rechtsradikaler Vorgänger Matteo Salvini hatte sich von den Italienern als Retter des Vaterlandes feiern lassen, weil er das Anlanden von Schiffbrüchigen unmenschlich verzögert und erschwert hat.
Wende in Rom und Berlin
Der deutsche Innenminister Horst Seehofer, der vor einem Jahr noch mit Salvini paktierte, sah ein, dass es so nicht weitergehen konnte. Sein einstiger Verbündeter Salvini sei zu weit nach rechts außen abgedriftet, sieht Seehofer heute ein. Das bisherige EU-Konzept - so weit wie möglich Abschrecken, Auslagern, Abschieben - stößt an seine Grenzen. Jedes Wochenende wurde in den Hauptstädten per Telefonkonferenz über das Schicksal von Schiffbrüchigen gefeilscht, wer nimmt wie viele vom Rettungsschiff X auf? Beschämend, unwürdig.
Den Regierungswechsel in Rom nimmt Horst Seehofer als Chance wahr, aus der Sackgasse der Migrationspolitik wieder herauszukommen. Auch wenn er es nicht sagt, änderte er seinen Kurs drastisch und ist jetzt plötzlich bereit, eine feste Quote an Migranten aus afrikanischen Ländern, die über das Mittelmeer kommen, in Deutschland aufzunehmen. Natürlich gilt das zunächst nur für diejenigen, die von privaten Rettungsorganisationen, darunter drei deutsche, aus dem Mittelmeer gefischt werden. Das ist der weitaus kleinste Teil aller Migranten, die nach Europa kommen, im letzten Jahr etwa 2200. Die meisten Migranten kommen heute auch nicht mehr in Italien oder Malta an, sondern in Griechenland und Spanien.
Quote könnte Schlepper freuen
Die Befürworter der bisherigen knallharten Politik argumentieren, dass Salvinis Handeln einen sehr großen abschreckenden Effekt hatte, sowohl auf die Migranten als auch auf deren Schlepper, deren Geschäftsmodell ins Wanken kam. Was wird nun geschehen, wenn nach Quoten verteilt wird? Werden dann wieder mehr Menschen die lebensgefährliche Überfahrt wagen? Werden mehr ertrinken, weil eben nicht alle gerettet werden können? Müsste die EU nicht wieder eine staatliche Seenotrettung organisieren, um mehr Migranten von den Booten holen zu können? Auf diese Fragen hatten die Innenminister auf Malta, die richtigerweise vorangehen wollen, noch keine Antworten. Aber diesen Fragen muss man sich stellen und irgendwann beantworten.
Zwölf bis 15 EU-Staaten sollen im Oktober dafür gewonnen werden, an der neuen vorläufigen Quotenregelung zur Verteilung von schiffbrüchigen Migranten teilzunehmen. Damit das gelingen kann, müsste klar sein, dass diejenigen, die niemanden aufnehmen, wenigstens zahlen oder sonst wie Solidarität zeigen. Das ist ein frommer Wunsch von Innenminister Seehofer, aber im Moment nicht mehr. Das Quotenangebot steht bei Deutschland 25%, Frankreich 25%, Italien 10%. Die restlichen 40%, wer nimmt die? Kann das wirklich so schwer sein? In absoluten Zahlen handelt es sich um ein paar Dutzend Menschen pro Jahr! Von einer dauerhaften Lösung für die Zehntausenden, die auf dem Landweg Europa erreichen, oder gar von einer grundlegenden Reform des europäischen Asylsystems ist ja noch gar nicht die Rede.