Quoten für Schiffbrüchige gesucht
22. September 2019Malta, das kleinste EU-Mitglied, liegt mittendrin in der Migrationsroute von Libyen nach Europa. Immer wieder kreuzt vor dem Inselstaat eines der neun privaten Rettungsschiffe, darunter drei aus Deutschland, auf, um aus Seenot gerettete Migranten anzulanden.
Bis Mitte 2018 hatte Malta ein Abkommen mit Italien, nach dem der große Nachbar alle Migranten aufnahm, die in Malta ankamen. Dann kündigte der ehemalige Innenminister Matteo Salvini das Abkommen und erklärte die italienischen Häfen für Rettungsschiffe für geschlossen. Malta wusste sich nicht anders zu helfen, als seinerseits den Zugang zu seinen Häfen so schwer wie möglich zu machen. Die maltesischen Behörden argumentieren, sie könnten keine weiteren Asylbewerber aufnehmen: Mit rund 2000 neuen Asylsuchenden im letzten Jahr seien die Inseln mit ihren 460.000 Bewohnern auf einer Fläche so groß wie München voll. Seitdem öffnet Malta seinen Hafen nur noch, wenn andere EU-Staaten sich nach zähen Verhandlungen bereit erklären, ad hoc die Menschen von den Schiffen zu übernehmen.
Neue Chance aus Italien
Jetzt gibt es seit zwei Wochen eine neue Regierung in Italien. Der Innenminister ist nun kein rechter Ideologe mehr, sondern die politisch neutrale Verwaltungsfachfrau Luciana Lamorgese. Sie hat in zwei Fällen bereits entschieden, Migranten von Rettungsschiffen in Italien an Land gehen zu lassen. Zuletzt am Sonntagabend, als die Behörden 182 Migranten vom Rettungsschiff "Ocean Viking" die sizilianische Hafenstadt Messina als sicheren Ort zuwiesen.
Die Lage entspannt sich damit, auch für Malta. Der maltesische Innenminister Michael Farrugia hat deshalb die neue Kollegin aus Italien sowie die Innenminister aus Deutschland, Frankreich und Finnland eingeladen, um wenigstens eine vorläufige Regelung zu finden, wie mit den Migranten, die von Libyen aus übers Meer kommen, um zugehen ist.
An diesem Montag wolle man in der ikonischen Hafenfestung Fort St. Angelo unter diesen fünf Staaten ein Modell zur Verteilung von Flüchtlingen und Migranten nach einem festen Schlüssel entwickeln, kündigte der deutsche Ressortchef Horst Seehofer in der abgelaufenen Woche an: "Wir haben jetzt durch die neue italienische Regierung die große Chance in Europa, die Anliegen der Migration, in diesem Fall der Seenotrettung, mit einem Konzept auszustatten. Wenn die Bundesrepublik diese Chance nicht ergreifen würde, wäre das ein ganz großes Versäumnis."
Seehofer bietet feste Quote an
Deutschland, so Seehofer, sei bereit, 25 Prozent der Schiffbrüchigen aufzunehmen, die von privaten Organisationen gerettet in Italien oder Malta an Land gehen. Kritikern dieser überraschenden Zusage hielt Seehofer entgegen, es handele sich um vergleichsweise geringe Zahlen. In den letzten 15 Monaten sind etwas mehr als 2200 Schiffbrüchige von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) per Schiff nach Italien und Malta gebracht worden, davon hat Deutschland 225 tatsächlich aufgenommen, also rund zehn Prozent. Seehofer hatte die Aufnahme von 565 versprochen. Wegen langwieriger Sicherheitsüberprüfungen und anderer Verfahrensfragen blieb es aber bei 225. Diese Migranten müssen dann das normale Asylverfahren durchlaufen. Nur etwa 20 bis 30 Prozent haben nach Schätzungen von EU-Diplomaten, eine Chance auf Anerkennung. Die übrigen kämen aus wirtschaftlichen Gründen.
Wie viele Menschen die anderen Teilnehmer der Konferenz, also Frankreich, Italien, Finnland oder Malta bereits sind aufzunehmen, ist nicht klar. Frankreich weigert sich bislang, seine Häfen für die Anlandung von Schiffbrüchigen zu öffnen. Das hatte der maltesische Innenminister vorgeschlagen.
Eine feste Vereinbarung von Quoten werde es auf Malta noch nicht geben, sagte Horst Seehofer vergangene Woche in Berlin: "Das ist noch ein hartes Stück Arbeit." Der eigentliche Beschluss soll erst am 8. Oktober bei einem Treffen aller EU-Innenminister in Luxemburg fallen. Ursprünglich hatten zwölf Staaten angedeutet, dass sie sich an einem vorläufigen Verteilungsschlüssel beteiligen könnten. "Ich hoffe, dass die drei großen Länder die Lok ziehen und sich dann möglichst viele, viele andere Länder anschließen", sagte Seehofer.
Salvinis Politik gescheitert
Italiens ehemaliger rechtsextremer Innenminister Matteo Salvini hatte die Abwehr der Schiffbrüchigen als großen Erfolg in seinen Wahlkämpfen gefeiert. Im Grunde hatte er die Häfen aber nicht geschlossen, sondern das Ausschiffen der Geretteten zu einem wochenlangen Drama gemacht. Am Ende konnten alle Menschen in Gruppen die fraglichen Schiffe doch verlassen, wenn Aufnahmezusagen aus anderen EU-Staaten vorlagen. "Ich habe dem Salvini immer gesagt, am Ende lässt du sowieso alle an Land, warum dieser quälende Prozess über 14 Tage? Aber er war nicht zu bewegen", erzählte der deutsche Innenminister Horst Seehofer, nachdem Salvini abtreten musste. "Darum spreche ich ja auch von einer Chance für eine neue Ära." Vor 14 Monaten bei einem Treffen der EU-Innenminister in Innsbruck hatte Seehofer mit Matteo Salvini und dem ebenfalls gescheiterten rechtspopulistischen Innenminister aus Österreich, Herbert Kickl, einen "Migrationspakt" geschlossen und enge Zusammenarbeit vereinbart.
Griechenland hat das größere Problem
Die von NGOs geretteten Migranten auf der Mittelmeerroute sind von den Zahlen her das kleinere Problem. Die meisten Menschen kommen zurzeit in Spanien an. Die Zahl der Migranten, die von der Türkei aus auf die griechischen Inseln kommen, steigt derzeit wieder stark an. In Griechenland kommen an einem Tag mehr neue Migranten an als Deutschland in den letzten 15 Monaten von Schiffen aus Italien übernommen hat. "Die Entwicklung der Migrationsbewegungen in der Türkei, Griechenland, auf der Balkanroute: Da geht es um ganz andere Dimension. Die Politik hat manchmal die Eigenschaft das Große zu übersehen und sich um das Kleine zu kümmern", bemängelte Innenminister Seehofer.
Im Kreise der EU-Innenminister hat er Gelegenheit, das gerade zu rücken. Die italienische Innenministerin Luciana sagte nach ihrem Antrittsbesuch in Berlin letzte Woche, das Treffen auf Malta könne nur ein "Testfall" für die Zusammenarbeit sein, es gehe um eine komplette Reform des europäischen Asylrechts. Die Reformvorschläge zur dauerhaften Verteilung von Migranten und für neue Regeln im sogenannten Dublin-System liegen seit Jahren auf dem Tisch. Einige Länder, darunter Ungarn und Polen, weigern sich aber, überhaupt Asylbewerber aufzunehmen.