Der Tiger ist klein, aber wach
Knapp über zehn Prozent für die "Vaterländische Bewegung" des rechtsradikalen Miroslav Škoro, die Partei in Kroatien, der bei dieser Wahl im In- und Ausland das größte Interesse gegolten hat: Das ist alles andere als sensationelles Ergebnis. Fast überall in Europa schneiden Parteien dieses Zuschnitts inzwischen besser ab – in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, in Großbritannien und in Italien, Österreich, Dänemark oder auch im Nachbarland Slowenien sogar oft viel besser. Trotzdem ist das Ergebnis Grund zur Unruhe.
Anders als in den genannten Ländern hält die radikale Rechte in Kroatien einen wichtigen Trumpf: Sie verwaltet die nationale Idee. Wann immer es in Kroatien um Nationales geht, und das ist in der Region häufig der Fall, nimmt das Wahlvolk mehrheitlich Zuflucht zu rechten, ultranationalen Konzepten. Lange Zeit war es die regierende "Kroatische Demokratische Gemeinschaft" (HDZ) von Ministerpräsident Andrej Plenković, die den Tiger ritt, gegen Minderheiten her zog, tote Faschisten ehrte und gegen Nachbarländer stichelte. Aber immer wenn die Staatspartei sich mäßigte und vernünftigen Themen zuwandte, drohte die nationale Rechte sich selbständig zu machen – wie jetzt wieder, nachdem der pragmatische Premier dem Raubtier vier Jahre lang kein Futter geben wollte.
Teile der Regierungspartei schielen nach rechts
Dass die HDZ deutlich besser abschnitt als erwartet, wird sie einer verbreiteten Sehnsucht nach Normalität und nationaler Einigkeit gegen das Corona-Virus zu verdanken haben. Zum Regieren braucht Plenković einen Partner. Ein minoritärer, aber gut organisierter Flügel seiner Regierungspartei würde lieber heute als morgen mit der extremen Rechten zusammengehen; ideologisch surfen sie ohnehin auf der gleichen Welle. Das Bündnis hätte zudem den Segen der einflussreichen katholischen Kirche.
Dennoch wäre der Premier wohl schlecht beraten, wenn er sein Jawort gäbe. Einmal in der Regierung, würden Škoro und seine Leute täglich ihre nationale Karte spielen, gegen Brüssel agitieren, Provokationen gegen die Nachbarländer Bosnien, Slowenien, Serbien hervorbringen und mit vorgestriger Familienpolitik die Jugend gegen sich aufbringen. Plenković könnte es sich kaum leisten, dagegenzuhalten. Jedem von Škoros Themen wich er bisher aus. Seine Strategie, den Tiger in den Schlaf zu lullen, war erfolgreich. Aber ihn totzustreicheln dürfte ihm nicht gelingen.
Große Koalition? Nein danke
Eine große Koalition mit den Sozialdemokraten hätte zwar eine Zweidrittelmehrheit. Eine gute Idee aber wäre auch sie nicht. In Kroatien, wo der Klientelismus blüht und sachlicher Streit um Inhalte eine Seltenheit ist, würde eine Koalition der beiden Großen auf bloße Machtteilung hinauslaufen: Jedes Ressort würde machen, was es will.
Zu allem Überfluss liegen die beiden großen Parteien inhaltlich lange nicht so weit auseinander, wie sie vorgeben und selber glauben. Ideen, Konzepte, schlüssige Programme haben sie beide nicht anzubieten. Wie man den Exodus der jungen Generation stoppt, weiß keine von ihnen; so dürfen sie darüber streiten, wann und wo der Lockdown gelockert wird und was mit dem Geld von der EU-Kommission geschehen soll. Kein Wunder also, dass die Wahlbeteiligung um satte acht Prozentpunkte sank. Im Wahlkampf beschränkten sich die Kontrahenten, Premier Plenković und sein sozialdemokratischer Herausforderer Davor Bernardić, weitgehend darauf, sich symbolisch zu positionieren - zu Bosnien, zu Abtreibung, zum kroatischen Sieg-Heil-Gruß aus der Nazizeit, den eine fanatische Minderheit gern legalisieren möchte.
Ein "Weiterwurschteln" scheint wahrscheinlich
Vom 40-jährigen, smarten, perfekt gecoachten, aber politisch profillosen Bernardić erwarteten seine Anhänger vor allem, dass er im Wahlkampf nicht stolpert. Das gelang, war aber bei weitem zu wenig. Wer wirklich ein anderes Kroatien wollte, wählte "Možemo" (etwa "Wir schaffen das" oder auch "Yes, we can"), eine neue, linksliberale Partei, die vor allem in den Hochburgen der Sozialdemokratie punktete.
So dürfte Plenković ähnlich weitermachen wie bisher - etwa mit mit den Vertretern der ethnischen Minderheiten oder mit der konservativen Partei Most, die inhaltlich von seiner eigenen kaum zu unterscheiden ist. Dass er in den nächsten vier Jahren der Raubkatze die Zähne zieht, das heroische Theater der selbsternannten Nationalhelden und falschen Kriegsveteranen ein für alle Mal beendet, steht nicht zu erwarten. Aber wenn der siegreiche Premier einfach weiterwurschtelt, haben die Wähler in vier Jahren wenigstens noch eine andere Alternative als den Extremisten Škoro.