Kroatien: Mangelware Jungwähler
3. Juli 2020Wie viele Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 30 Jahren bei den Parlamentswahlen in Kroatien am 5. Juli 2020 zu den Wahlurnen gehen werden? Darüber gibt es keine genauen Untersuchungen. Es sei aber davon auszugehen, dass ihre Wahlbeteiligung ähnlich sein wird wie bei den Europawahlen 2019, sagt Marko Matijevic, Begründer und Chefredakteur des populären kroatischen Jugendportals srednja.hr. Und diese Zahlen sind eher ernüchternd: Während EU-weit die Wahlbeteiligung der jungen Menschen etwa 42 Prozent betrug, waren es im jüngsten Mitgliedsland nur rund 18 Prozent.
Dieses weitgehende Desinteresse der jungen Menschen am politischen Leben im Lande passt zur Phantasielosigkeit der politischen Parteien bei der Frage, wie man diese Wählergruppe überhaupt ansprechen sollte. "Junge Menschen finden bei den kroatischen Parteien weder politische Inhalte, die sich direkt an sie richten, noch eine ansprechende Art der Kommunikation", sagt Matijevic.
Zwar werden im Wahlkampf oft obligatorische Floskeln darüber wiederholt, wie wichtig es sei, jungen Menschen eine Perspektive zu geben oder dass die Jugend die Zukunft Kroatiens sei; konkrete Probleme junger Bürgerinnen und Bürger aber werden nicht angesprochen. Vor allem das Thema Bildung fände so gut wie nicht statt, sagt Matijevic. Selbst wenn es um die wirtschaftliche Perspektiven ginge, blieben die Aussagen der Politikerinnen und Politker vage und unverbindlich.
So entsteht ein Teufelskreis, meint Matijevic: Weil sie keine für sich relevante Politik erkennen können, sind nur wenige junge Menschen daran interessiert, wählen zu gehen. Und weil sie so nicht zu einer relevanten Wählergruppe werden, kümmern sich die größeren Parteien kaum um sie.
Abstimmen mit den Füßen
Dabei gäbe es gute Gründe dafür, junge Menschen in den Mittelpunkt der kroatischen Politik zu stellen. Die Geburtenrate des Vier-Millionen-Einwohnerlandes liegt unter dem EU-Durchschnitt, während die Jugendarbeitslosigkeit mit 16,2 Prozent überdurchschnittlich hoch ist. Eine der Folgen: seit Kroatien 2013 der Union beigetreten ist, verlassen jährlich zwischen 40.000 und 50.000 Menschen das Land. Die überwiegende Mehrheit von ihnen ist zwischen 20 und 30 Jahre alt.
Die meisten Auswanderer zieht es nach Deutschland, viele auch nach Irland, wo sie hoffen, ein besseres Leben für sich zu finden. "Anders als früher wandern die Menschen mittlerweile aus, weil sie von ihrem Staat enttäuscht sind", so Tado Juric, Demographieforscher in der kroatischen Hauptstadt Zagreb, "von einem System, in dem man die Bildung und die Arbeit nicht belohnt."
Bürgerpflicht - mehr nicht
Auch viele, die wählen gehen wollen, werden das ohne Enthusiasmus tun. "Ich denke, das ist eine Bürgerpflicht", sagt Jakov. Eine Verbesserung verspricht sich der 19-Jährige nach der Wahl aber nicht, genauso wenig wie Laura (19), Studentin aus Zagreb: "Ich glaube nicht, dass die Wahlen in meinem Leben etwas ändern werden, denn die Politiker versprechen Vieles – aber die Erfahrung zeigt, dass sie ihre Versprechen nicht umsetzen".
Der gleichaltrige Bruno ist da noch direkter: "Ich glaube (den Politikern) kein Wort und achte daher auch nicht darauf, was sie sagen." Wählen wird er aber trotzdem gehen. Paulina, ebenfalls 19, studiert Psychologie und will später in einer Schule arbeiten. Wirtschafts- und Bildungspolitik sind für sie wichtige Themen - aber die bisherige Umsetzung findet sie mangelhaft. "Und eine Verbesserung? Die sehe ich nicht kommen", sagt sie.
Zum Gefühl der Ohnmacht tragen zweifellos auch die weiterhin starken national-konservativen Kräfte bei, die Homosexualität als Krankheit bezeichnen und Abtreibung generell verbieten wollen - auch wenn die Schwangerschaft eine Folge der Vergewaltigung ist. Dabei können sie sich der Unterstützung der auch bei vielen Jugendlichen einflussreichen katholischen Kirche sicher sein.
Für Ivana (22) ein Unding: "Ich werde jedenfalls wählen gehen. Ich hoffe, dass die Politik doch etwas besser, etwas moderner wird, dass nicht all die Jahren des Kampfes für die Menschenrechte zunichte gemacht werden. Ich hoffe, die Minderheiten werden geschützt." Frauenrechte sind für sie besonders wichtig: "Das geht mich an, insbesondere wenn es um den Körper der Frau geht und um Entscheidungen, die nur sie zu treffen hat. Und ganz besonders, wenn die Diskussion darum nur von Männern geführt wird."
Konservative Grundstimmung
Dennoch sind die meisten jungen Wähler in Kroatien keine Rebellen. "Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die kroatische Jugend überwiegend konservativ orientiert ist - und ungefähr so wählen wird wie die Gesamtbevölkerung. Die meisten Stimmen dieser Bevölkerungsgruppe dürfte die regierende konservative Kroatische demokratische Gemeinschaft (HDZ) bekommen, dicht gefolgt von der sozialdemokratisch geführten Koalition 'Restart' und der national-populistischen 'Vaterlandsbewegung'", sagt Marko Matijevic vom Jugendportal srednja.hr.
Diese konservative Einstellung zeigte sich auch in einer Untersuchung aus dem Jahr 2015. Demnach fanden 65 Prozent der Abiturienten, dass homosexuelle Personen privat machen können, was sie wollen - aber ihre sexuelle Orientierung nicht in der Öffentlichkeit zeigen sollten; 50 Prozent wollen Homosexuellen öffentliche Aufritte gar verbieten.
So eine Entwicklung möchte Ivana nicht hinnehmen. Sie hat über die bevorstehenden Wahlen auch mit ihren Freunden gesprochen. Sie setzen sich für eine offene und tolerante Gesellschaft ein, in der man gut leben und arbeiten kann. "Ich hoffe, mein Leben wird nach diesem Sonntag besser - und dass ich mich nicht gezwungen sehe, das Land zu verlassen", so die 22-jährige Kroatien.