Der Suizid soll nicht der Normalfall werden
Lang und intensiv war die Debatte, immer wieder unterbrochen von Momenten echter Gewissensprüfung. Und das nicht nur innerhalb der dreistündigen Plenarsitzung am Freitag im Deutschen Bundestag. Nein, seit zwei Jahren wurde in Deutschland auf allen Ebenen ernsthaft und engagiert über die Sterbehilfe diskutiert. Zu Recht. Denn dieses Thema berührt die Grundfesten unserer politischen und moralischen Wertvorstellungen, es geht jeden einzelnen von uns an. Umso beachtlicher, dass diese Debatte so sachlich und respektvoll verlief.
Das wichtigste Ergebnis: Das Tabu beim Thema Sterben ist gefallen. Die Deutschen haben gelernt, über das Sterben zu sprechen. Sie wissen jetzt, dass es wichtig ist, eine so genannte Patientenverfügung zu verfassen für den Fall, dass sie sterbenskrank ihren Willen nicht mehr äußern können. Die Debatte hat außerdem gezeigt, dass Deutschland mehr investieren muss in Palliativmedizin und Hospize, die Sterbende auf ihrem letzten Weg begleiten. Erst am Donnerstag hat der Bundestag ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.
Klarheit für Ärzte
Das Gesetz, das der Bundestag jetzt verabschiedet hat, bringt mehr Klarheit für Ärzte, die bislang in der Zwickmühle standen zwischen Rechtslage und Berufsethos. Seit fast 150 Jahren ist der Suizid in Deutschland keine Straftat mehr. Infolgedessen war auch die Hilfe zur Selbsttötung nicht mehr strafbar. Manche Ärztekammern entzogen Ärzten jedoch die Approbation, wenn sie einem Patienten dabei halfen, sich selbst zu töten. Selbst, wenn dieser das zuvor verlangt hatte. Die neue Rechtslage rückt diese Schieflage zurecht.
Noch wichtiger ist jedoch: Das neue Gesetz verhindert die Kommerzialisierung der Sterbehilfe. Es verbietet Organisationen, die unter dem Deckmantel der Humanität mit tödlichen Medikamentencocktails Gewinn machen. Dass solche Praktiken künftig strafbar sind, war ein Grund, warum der entsprechende Gesetzesvorschlag im Bundestag eine so überraschend klare Mehrheit erhielt. Denn verbunden damit war die Furcht, eine "Normalisierung" des Suizids - wie in der Schweiz oder den Niederlanden - könnte unheilbar kranke Menschen unter Druck setzen, ihr Leben zu beenden.
Mitgefühl auch ohne Einigkeit
Natürlich wird eine Minderheit auf beiden Seiten des politisch-moralischen Spektrums enttäuscht sein: Diejenigen, die jede Art der Legalisierung von Sterbehilfe ablehnen und diejenigen, die die völlige Liberalisierung fordern. Die große Leistung des jetzt verabschiedeten Gesetzes ist jedoch, dass es das Recht des Einzelnen achtet, den Zeitpunkt des eigenen Todes zu wählen, ohne damit den Suizid in irgendeiner Form zu etwas Normalem, Alltäglichem zu machen. Es berührt die intime Sphäre individueller Gewissensentscheidung mit Vorsicht und tiefem Respekt. Es erkennt an, dass die deutsche Gesellschaft pluralistisch ist, dass wir einander mit Verständnis und Mitgefühl begegnen können - selbst, wenn wir uneinig darüber sind, ob der Suizid überhaupt jemals ethisch gerechtfertigt sein kann.
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