Kein Geschäft mit dem Tod
6. November 2015Als sich um kurz vor 9 Uhr das Plenum des Bundestags füllt, liegt bereits eine gewisse Spannung in der Luft. Auf dem Tisch liegen nicht weniger als vier konkurrierende Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe. Der Fraktionszwang ist aufgehoben, die Meinungen gehen in jeder Partei auseinander. Mehr als 600 Abgeordnete strömen in den Saal, viel mehr als üblich. In den Tagen vor der Abstimmung ist der Ton zwischen den Verfassern der einzelnen Anträge schärfer geworden. Heute zählt also jede Stimme.
Die ungewöhnliche Ausgangslage ist dem sensiblen Thema geschuldet: Es geht darum, das Sterben todkranker Menschen zu regeln, wenn diese ihr Leben beenden wollen. Seit fast 145 Jahren kommt Deutschland ohne ein Gesetz dazu aus, nun soll es eines geben. Der Bundestag befasst sich seit mehr als einem Jahr mit der heiklen Materie.
Sterbehilfe-Vereinen das Handwerk legen
Während Bundestagspräsident Norbert Lammert noch das komplizierte Abstimmungsverfahren erklärt, für das eigens ein Stimmzettel entworfen wurde, eilt die Kanzlerin im weinroten Blazer in den Saal und nimmt auf der Regierungsbank Platz. Sie unterstützt den Antrag, der die meisten Unterzeichner hat. Verfasst haben ihn die Abgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD). Sie wollen das Strafgesetzbuch um einen neuen Paragrafen ergänzen: Wer die Selbsttötung eines anderen "geschäftsmäßig fördert", kann künftig bis zu drei Jahre lang in Gefängnis kommen. Derzeit ist die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar.
Michael Brand, der die dreistündige Debatte eröffnet, lobt zuerst einmal, dass das Thema Sterbehilfe "aus der Tabuzone" geholt worden sei. Dann erklärt er, gegen wen sich der Gesetzentwurf seiner Gruppe vor allem richtet: "Es etablieren sich Anbieter, die geschäftsmäßig den Suizid fördern", sagt er und meint damit Vereine, die gegen Geld ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen. "Angebot von Sterbehilfe schafft Nachfrage", sagt Brand, das sei nicht hinnehmbar. "Wir dürfen den Tod nicht als Dienstleistung anbieten", so formuliert es später die Sozialdemokratin Eva Högl. Schlimmstenfalls könnten Schwerkranke unter Druck gesetzt werden, ihr Leben zu beenden. Natürlich sei das Strafrecht "ein scharfes Schwert", räumt sie ein. Aber ohne das Strafrecht könne man den kommerziellen Anbietern von Sterbehilfe eben nicht beikommen.
"Ärzte werden kriminalisiert"
Dieses Argument überzeugt die Gegner des Antrags von Brand und Griese nicht. Es gebe kaum kommerzielle Anbieter von Sterbehilfe in Deutschland, das Problem sei also aufgebauscht. Hingegen gebe es viele Ärzte, vor allem Palliativmediziner, an die sich sterbewillige Patienten im Vertrauen wendeten. Leisteten sie Hilfe beim Suizid, argumentiert der CDU-Politiker Peter Hintze, dann könnten sie künftig strafrechtlich verfolgt werden. "Was wäre das für ein Rechtsstaat, der, um einen Scharlatan zu erwischen, tausend verantwortungsvoll handelnde Ärzte mit Strafe bedroht?", fragt Hintze, dessen Antrag am Ende die zweitmeisten Stimmen bekommt. Seine Befürchtung: Wenn bei den Ärzten erst einmal der Staatsanwalt klingelt, dann ziehen sie sich aus der Sterbehilfe zurück und weisen Hilfe suchende Menschen ab. Schwerstkranke blieben dann in ihrer Not allein.
Auf gar keinen Fall dürften die Ärzte kriminalisiert werden, fordert die Gruppe rund um Peter Hintze, die das Strafrecht beim heiklen Thema Sterbehilfe gar nicht erst bemühen möchte. Stattdessen will diese Gruppe das Recht auf "ärztlich begleitete Lebensbeendigung" im Bürgerlichen Gesetzbuch verankern. "Leiden im Sterben ist sinnlos", sagt Hintze, der für seine engagierte Rede viel Beifall bekommt. "Kein Mensch muss einen Qualtod hinnehmen."
"Nicht Sache des Staates"
Viele Redner stellen die Frage, ob der Gesetzgeber nicht übertreibt, wenn er so etwas Privates wie das Sterben in Paragrafen gießt. "Der Staat soll sich da heraushalten", fordert die Grüne Renate Künast, selbst Rechtsanwältin. "Akzeptieren wir die Selbstbestimmung am Lebensende!" So dächten die meisten Deutschen, sie wollten sich da nicht reinreden lassen. Und dass am Ende gar der Staatsanwalt am Sterbebett auftauchen könnte, findet die Gruppe rund um Renate Künast völlig überzogen. Ihr Antrag sieht die größten Liberalisierungen bei der Sterbehilfe vor. Am anderen Ende des Meinungsspektrums steht ein Gesetzentwurf, der die Sterbehilfe völlig verbieten und mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestrafen will. Dieser Antrag ist chancenlos, ihn haben vorab nur 35 Abgeordnete unterzeichnet.
Eine Frage der Auslegung
Der Rest der dreistündigen Debatte dreht sich stark um die juristische Auslegung des Begriffs "geschäftsmäßig", einem Schlüsselbegriff im siegreichen Antrag von Brand und Griese. Getreu dem Motto "drei Juristen, vier Meinungen" gehen die Ansichten weit auseinander, ab wann die Sterbehilfe "geschäftsmäßig" ist. Nur, wenn sie im Zentrum des geschäftlichen Tuns stehe, sagt die Gruppe um Brand und Griese. Demnach könnten Ärzte, die einzelnen Patienten beim Sterben helfen, strafrechtlich nicht belangt werden.
Die Kritiker sehen das anders: Schon die wiederholte Hilfe beim Serben verdiene rein juristisch gesehen das Prädikat "geschäftsmäßig". Damit seien Ärzte nicht geschützt vor strafrechtlicher Verfolgung. Die beiden Meinungen prallen in der Aussprache immer wieder aufeinander.
"Nun haben wir statt einer ethischen eine juristische Debatte", stellt die Linke Halina Wawzyniak etwas enttäuscht fest. Sie unterstützt den Antrag von Brand und Griese, der überraschend gleich bei der ersten Abstimmung die drei anderen Anträge aus dem Feld schlägt. In der Schlussabstimmung wird der Gesetzentwurf mit 360 Ja-Stimmen gegen 233 Nein-Stimmen verabschiedet. Damit wird die "geschäftsmäßige" Förderung zur Selbsttötung in Deutschland ein Straftatbestand. Was das in der Praxis genau bedeutet, darauf weist die Kontroverse im Bundestag bereits hin, werden am Ende die Gerichte klären müssen.