Der hohe Preis der Solidarität
Nach den Anschlägen auf Charlie Hébdo im Januar war der Preis der Solidarität mit Frankreich für die Bundeskanzlerin noch übersichtlich. Ein Trauermarsch Seite an Seite mit Francois Hollande war das ganze Ausmaß der politischen Verbrüderung, verbunden mit dem Versprechen, nunmehr natürlich alles für den Kampf gegen den Terrorismus zu tun. Was von solchen Versprechen im europäischen Rahmen zu halten ist, weiß man inzwischen. Jedes Land vermeidet strikt, etwas leisten zu müssen, was es nicht will.
Paris stellt Forderungen
Nach der jüngsten Serie mörderischer Attentate in Paris aber sieht die Welt plötzlich anders aus. Jetzt spricht der französische Präsident nicht nur vom Krieg gegen die Terroristen und ihre Hintermänner bei der Mördersekte IS, er will ihn auch wirklich führen. Und das hat er Angela Merkel jetzt beim Abendessen im Elysée-Palast klar gemacht. Für ihre Verhältnisse hatte die Kanzlerin ein großzügiges Gastgeschenk mitgebracht: Die Zusage, bis zu 650 Bundeswehrsoldaten nach Mali zu entsenden, um französische Soldaten dort zu entlasten, ist für deutsche Verhältnisse schon eine Art verteidigungspolitischer Quantensprung.
Aber das ist Hollande nicht genug: Er fordert mehr Engagement, wenn möglich direkt in Syrien und Irak. Falls Deutschland mit seiner Unterstützung weiter gehen könnte, wäre das ein sehr gutes Signal, formulierte der französische Präsident. Gut für wen, ist dabei allerdings die Frage. Natürlich wäre es ein Gewinn für ihn, wenn er die Bundesregierung auch militärisch in den Krieg einbinden könnte, den er gegen den „Islamischen Staat“ führen will. Denn Hollandes Tournee nach Washington und Moskau und seine Gespräche mit dem britischen Premier auf der Suche nach Bündnispartnern brachten bisher zwar viele gute Worte, jedoch wenig handfeste Hilfe. US-Präsident Barack Obama ist wenig geneigt, sich tiefer in den syrischen Sumpf hineinziehen zu lassen. Russlands Präsident Putin tut sowieso nur, was er für sich als nützlich betrachtet. Und in Großbritannien könnte das Unterhaus zwar der Beteiligung an Luftangriffen in Syrien zustimmen, aber die Neigung zu größeren militärischen Abenteuern ist inzwischen gering.
Deutschland als Partner im Krieg gegen IS?
Erstaunlicherweise deutete Angela Merkel an, sie sei bereit, über weitere Aufgaben beim Kampf gegen IS nachzudenken. Der Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen wurde ins Spiel gebracht. Das ist insofern verblüffend, als die Kanzlerin dadurch wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren hat: zu allererst innenpolitisches Kapital, von dem sie durch ihre Flüchtlingspolitik schon eine Menge verbraucht hat. Darüber hinaus aber wäre eine militärische Beteiligung an den Luftangriffen in Syrien ein erneuter Sündenfall nach dem Einsatz in Afghanistan. Man würde sich in einen asymmetrischen Krieg mit unabsehbaren Folgen, unklarer Zielsetzung und mäßigen Erfolgsaussichten hineinziehen lassen. Denn niemand behauptet ernsthaft, man könne den IS durch Luftangriffe besiegen. Gleichzeitig ließe sich Deutschland damit in eine Nahostpolitik verstricken, die bisher noch keine Lösungen, sondern nur weitere Probleme hervorgebracht hat.
Warum geht Merkel solche Risiken ein?
Normalerweise müsste der französische Präsident politische Gegenleistungen für das deutsche Engagement erbringen. Aber sein neuer Kurs konterkariert viele Ziele der Bundesregierung. So stören die Annäherungsversuche gegenüber dem russischen Präsidenten die Ukraine-Politik der Kanzlerin. Denn ihre klare Linie gegenüber Putin ist gefährdet, wenn er Frankreichs Partner gegen den IS werden soll. Außerdem wirft Paris die Berliner Sparpolitik in der Eurozone mit dem Vorwand der Terrorbekämpfung jetzt endgültig über Bord. Und in der Flüchtlingspolitik, wo die Kanzlerin wiederum französische Unterstützung dringend brauchen würde, hat Ministerpräsident Manuel Valls schon klar abgewinkt: Man könne nicht noch mehr Menschen aufnehmen.
Könnte es also sein, dass es manchmal zu viel oder vielleicht die falsche Solidarität gibt? Oder glaubt Angela Merkel etwa an den sogenannten "Krieg gegen den Terror"? Der politische Preis könnte für Deutschland sehr hoch sein. Zu hoch, wenn man die ungewissen Aussichten auf Erfolg bedenkt und die Tatsache, dass wer sich in Gefahr begibt, durchaus darin umkommen kann. Und dieses Sprichwort gilt ganz besonders für den politischen Sumpf im Nahen Osten.