Laut einem Bericht der Washington Post hat das vor Kurzem gegründete Cyberkommando der US-Armee den Internetzugang der "Agentur für Internetforschung" in Sankt Petersburg - besser bekannt als "Troll-Armee" des Kreml - am Tag der US-Zwischenwahlen komplett blockiert. Das habe zu Verwirrung und Panik bei den Verantwortlichen in Russland geführt. Die Agentur soll nach Angaben der Zeitung hinter der Einmischung in die US-Präsidentschaftwahlen im Jahr 2016 und anderen Aktivitäten in westlichen Staaten stecken. Sie wird angeblich von Jewgeni Prigoschin finanziert, ein milliardenschwerer Geschäftsmann, der Präsident Putin nahe stehen soll. Ihm wird auch nachgesagt, Hauptgeldgeber für russische Söldner in der Ostukraine, Syrien und Afrika zu sein.
Experten der US-Armee soll es gelungen sein, persönliche Mailaccounts und Nachrichtenströme von Mitarbeitern der Cybereinheiten des russischen Geheimdienstes zu hacken. Die US-Armee habe Nachrichten hinterlassen, die in den Augen der Russen keine Zweifel lassen sollten, dass jeder von ihnen bekannt ist und beobachtet wird.
Asymmetrische Kriegsführung
Putin hat den Westen bislang zwar nicht als schwach eingeschätzt, aber rechnete eher mit defensivem Verhalten. Immer ist es ihm gelungen, einen Schritt voraus zu sein - sei es 2008 in Georgien, 2014 in der Ukraine, 2015 in Syrien oder 2016 in den USA. Sollte der Bericht der Washington Post stimmen, hat sich das Weiße Haus unter Trump wohl dazu entschieden, den Spieß umzudrehen und diesmal den ersten Schlag zu setzen. Das sollte Putin zum Nachdenken gebracht haben.
Aber man sollte nicht erwarten, dass er klein beigibt. Die Idee eines taktischen Rückzugs kommt ihm selten, wenn nicht sogar nie, in den Sinn. Damit würde er Schwäche zeigen. Putin nimmt alles sehr persönlich. Die Aufmerksamkeit, die ein solcher Angriff aus Washington generieren würde, wäre für ihn eine Demütigung.
Das bedeutet aber nicht, dass er seine Cybertruppen anweisen wird, sofort Gegenmaßnahmen gegen die USA zu ergreifen. Der russische Machthaber zieht eine sogenannte asymmetrische Kriegsführung vor: Er schlägt nie sofort zurück und auch nie mit den selben Waffen. Doch obwohl Trump seinen russischen Amtskollegen als Weltmeister der Unberechenbarkeit abgelöst hat, sieht Putin sich selbst immer noch als Meister der geopolitischen Überraschungen.
Wladimir Putins Ziele
Ein Hauptziel Putins könnten die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine am 31. März sein. In dem Land, das bereits teilweise von Russland besetzt oder annektiert ist, wird es um einiges einfacher sein, Chaos zu stiften, als in den USA. Ebenfalls hilft es Putin, dass die Fähigkeiten der Ukraine in der Internetsicherheit weit geringer sind als in Russland. Zu erwarten sind provokative Fake News, die den Bankensektor und Versorgungsbetriebe zum Ziel haben.
Zweites Ziel auf Putins Liste: die kommenden Europa-Wahlen im Mai. Auch wenn die euroskeptischen rechten Parteien leicht an Zustimmung verlieren sollten, wird Putin sie weiter unterstützen - ebenso wie viele unbekannte aber zuverlässige linke Parteien. Putins Ziel ist ein EU-Parlament, das dabei hilft, bestehende Gräben innerhalb der EU zu vertiefen.
Und dann ist da noch Großbritannien. Auf Putins Agenda steht sicherlich, Jeremy Corbyns Labour-Partei zu unterstützen. Corbyns NATO-kritischen Sichtweisen und die Bereitschaft, Argumenten aus Moskau Gehör zu schenken, machen ihn für Russland zum favorisierten Nachfolger von Premierministerin Theresa May - unabhängig vom Ausgang des Brexit.
Putin könnte auch die Standhaftigkeit der NATO-Infrastruktur am östlichen Rand des Bündnisses und in den baltischen Staaten austesten. Aus irgendeinem Grund glaubt Moskau, dass dort die Schwachstelle des Verteidigungsbündnisses liegt. Dort wäre es für Putin am einfachsten, die Muskeln spielen zu lassen.
Geld, Mord und der künftige Cyberkrieg
Letztes Ziel werden die USA selbst sein. Der Kongress wird sehr wahrscheinlich bald neue Sanktionen gegen Russland beschließen. In der Liste der Maßnahmen finden sich zwei, die Putin direkt treffen sollen. Zunächst möchte der Kongress, dass alle US-Ministerien alle bekannten Informationen über Putins Gesundheit öffentlich machen.
Außerdem möchte der Kongress eine Untersuchung zur Ermordung des Kreml-Kritikers Boris Nemzow einleiten, unter Führung der USA. Nemzow wurde im Februar 2015 in unmittelbarer Nähe des russischen Regierungssitzes erschossen. Mutmaßliche Täter wurden gefasst und verurteilt. Wer hinter der Tötung steckt und sie beauftragt hat, bleibt ungewiss.
Die vom Kreml kontrollierte Polizei und die Justiz haben weitere Ermittlungen bisher blockiert. Die Chance, dass das FBI und die CIA die Wahrheit aufdecken, ist gering. Doch die Tat nur zu erwähnen, kommt einer Anschuldigung Putins in dem Mordfall gleich. In beiden Fällen wird Putin nicht drumherum kommen, auf die Anschuldigungen zu reagieren.
Ein wahrscheinliches Ziel könnten auch die Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl in den USA sein. Es ist anzunehmen, dass Russland auch bei den Wahlen im kommenden Jahr mitmischen wird. Der erste Cyberkrieg der Welt hat gerade erst begonnen.