Ein normaler Geheimdienst
18. August 2014Eine Welt ohne Geheimdienste? Die Vorstellung ist zu schön, um wahr zu sein. Die Vorstellung ist angesichts zahlreicher konkreter wie abstrakter Gefahren leider auch naiv. Eine dieser potenziell tödlichen Gefahren ist der internationale Terrorismus. Der hat mit dem religiös-fundamentalistisch motivierten Massenmord vom 11. September 2001 in den USA eine neue Dimension erlangt. Seitdem stehen nicht mehr nur die ärgsten Feinde aus verschiedenen Gründen unter Verdacht, sondern auch langjährige Partner und Freunde. Dadurch wird das Mindestmaß an Vertrauen zerstört, das Partner- und Freundschaften erst möglich macht.
Natürlich werden nicht alle auf eine Stufe gestellt: Feinden traut man zu Recht alles erdenklich Schreckliche zu. Aber auch Partnern misstraut man, weil sie womöglich zu wenig für die nationale und globale Sicherheit tun. Amerikanische Spione der National Security Agency (NSA) belauschen islamistische Terroristen, um Terroranschläge zu verhindern. Und sie belauschen Bundeskanzlerin Angela Merkel - ja, warum eigentlich? Weil man im Weißen Haus unabhängig vom gerade amtierenden US-Präsidenten befürchtet, in Deutschland könnten wieder Anschläge nach dem Muster des 11. September geplant werden? Die Drahtzieher entwickelten ihre Pläne bekanntlich in Hamburg.
Spielarten des Schweigens
So irrational derlei Gedankenspiele mitunter auch anmuten mögen, sie scheinen in den Köpfen führender Geheimdienstler und Politiker ein prägender Teil der Strategie im Anti-Terror-Kampf zu sein. Dabei nehmen sie auf allen beteiligten Seiten in Kauf, lange Zeit gute oder sogar freundschaftliche Beziehungen leichtfertig und dauerhaft zu beschädigen. Im Verhältnis zwischen den USA und Deutschland ist das seit Edward Snowdens NSA-Enthüllungen der Fall. Und jetzt auch zwischen Deutschland und der Türkei. Dass der BND den vor allem militärstrategisch so wichtigen NATO-Partner systematisch aushorcht, gibt die Bundesregierung zwar nicht zu. Sie dementiert es aber auch nicht.
Diese Spielart des Schweigens lässt bis zum Beweis des Gegenteils nur einen Schluss zu: Die Medienberichte über Spionage-Aktivitäten des BND gegen die Türkei sind zutreffend. Für das ohnehin schon angespannte deutsch-türkische Verhältnis kann das gravierende Folgen haben. In Ankara wirft man Deutschland im Allgemeinen und Angela Merkel im Besonderen schon lange vor, einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union unbedingt verhindern zu wollen. Dann gibt es da noch die weiterhin ungeklärte, geschweige denn gesühnte rassistisch motivierte Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) an überwiegend türkischstämmigen Menschen in Deutschland. So wenig das eine Thema mit dem anderen zu tun hat - alles zusammen hat das Vertrauen auf politischer und zwischenmenschlicher Ebene erheblich beeinträchtigt.
Politik und Sicherheitsbehörden müssen umdenken
Es wird lange dauern, wieder Vertrauen zu schaffen. Und leider ist Skepsis angebracht, wenn die Geheimdienste so weitermachen wie bisher und Politiker jeglicher Couleur sie im Wesentlichen gewähren lassen. Das zeigt sich im deutsch-amerikanischen Verhältnis am Beispiel des von Berlin gewünschten No-Spy-Abkommens: Washington lehnt den Verzicht auf das gegenseitige Ausspionieren schlichtweg ab. Paradoxerweise sind die Amerikaner in dieser Frage sogar konsequent. Sie räumen damit unausgesprochen ein, sich auch künftig von ihren Partnern mit geheimdienstlichen Methoden ein Bild machen zu wollen. Freunde gewinnt man damit allerdings keine.
Eines ist und bleibt klar: Mit moralischen Maßstäben lässt sich das Gebaren welchen Geheimdienstes auch immer nicht messen. Das darf aber nicht bedeuten, die Regierenden aus der Verantwortung zu entlassen. Ihre Aufgabe ist es dringender denn je, mit einem Höchstmaß an Transparenz die Arbeit ihrer als Sicherheitsbehörden bezeichneten Geheimdienste zu erklären und zu rechtfertigen. Darauf hat die Öffentlichkeit einen Anspruch, und das dürfen auch die jeweiligen Partnerländer erwarten. Sollte alles beim Alten bleiben, wird das Misstrauen weiter zunehmen, im In- wie im Ausland. Misstrauen führt zu Entfremdung. Beides schadet auf Dauer der Demokratie - in Deutschland, den USA, der Türkei, überall.