Die Jury hat gesprochen - ihre Entscheidungen werden auf ein geteiltes Echo stoßen. Der Goldene Bär für "Synonymes" des israelischen Regisseurs Nadav Lapid dürfte zumindest weniger Kontroversen auslösen als vor einem Jahr die Vergabe des Hauptpreises an die rumänische Regisseurin Adine Pintilie und ihren Film "Touch Me Not". Vielleicht wäre "So Long, My Son" aus China der würdigere Sieger gewesen. Im Großen und Ganzen gehen die Preise aber in Ordnung. Juliette Binoche und ihre Mitstreiter haben aus einem schwachen Wettbewerb das Beste ausgewählt.
Der Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Bären wurde bei den nationalen wie internationalen Kritikern in den vergangenen Tagen als mäßig bis schwach bewertet. Die Handvoll bemerkenswerter Filme, die dann auch die Preise gewannen, konnten nicht über ein allgemein als dürftig empfundenes Wettbewerbsniveau hinwegtäuschen.
Hinter der Konkurrenz in Cannes und Venedig
Das war wohl dann auch das größte Manko der Berlinale unter Dieter Kosslick. In nur wenigen Jahrgängen hat der Wettbewerb einmal überzeugen können - der Verfasser dieser Zeilen hat 17 der 18 Wettbewerbe unter Kosslick gesehen, oder sollte man sagen: durchgestanden? Die Qualität der Konkurrenz in Cannes und Venedig konnte kaum einmal erreicht werden.
Dass es Kosslick und seinem Auswahlgremium in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist, das Ruder in der wichtigsten Festivalsektion herumzureißen, ist schade und hat letztendlich auch dazu geführt, dass Kosslick nach 18 Jahren nicht ganz freiwillig gehen musste. Der Aufstand der Filmkritiker, die sich Ende 2017 mit ihrer scharfen Kritik gegen den Festivaldirektor wandten, stand am Anfang einer heftigen Debatte über eine Neuausrichtung der Berlinale, die dann schließlich zum Ende der Ära Kosslick und zur Neubesetzung der Festival-Leitung führte.
Jenseits des Wettbewerbs ist dies ein Festival, das jedes Jahr über 400 (!) neue Filme präsentiert. Die Strahlkraft der Berlinale mag sich vielleicht aus dem Bärenrennen speisen und die (Film-)Welt auf den Wettbewerb schauen. Doch die anderen 380 Filme stehen zu Unrecht in seinem Schatten.
Das große Publikumsfestival
Schade und auch ein wenig tragisch (und sicher auch ungerecht) ist es vor allem, weil die Berlinale ein fantastisches Festival ist. Es gilt völlig zu Recht als das große Publikumsfestival. Es bietet viele großartige Filmreihen und Programmsektionen, Veranstaltungen aller Art, Weltpremieren in Hülle und Fülle, Kino aus fernen und unbekannten cineastischen Regionen.
Und es ist, auch das muss erwähnt werden, ein fantastisch organisiertes Festival - bei der Größe der Veranstaltung keine Selbstverständlichkeit. Das Kino der Welt ist für zehn Tage zu Gast in der deutschen Hauptstadt, an vielen Orten, in alten und neuen Kinos. Die Kritik, die Berlinale sei zu groß, das Programm zu unübersichtlich, ist grundfalsch.
Die Berlinale ist ein Festival mit einem riesigen Angebot - was ist daran verkehrt? Vor allem, wenn das Publikum mitspielt, Hunderttausende Kino-Tickets verkauft werden? Zuschauer (und die Kritiker sowieso) dürfen sich aus dem Programm rauspicken, was sie interessiert. Was wäre denn die Alternative? Ein weiteres elitäres Festival für den Roten Teppich oder ein kleines, geladenes Publikum? Ein Filmfest nur fürs Feuilleton? Sicher nicht.
Gute Stimmung und Atmosphäre
Die Berlinale ist eine große, demokratische Kulturveranstaltung. Auch das ist ein Verdienst des scheidenden Festivaldirektors. Das vor allem muss Kulturstaatsministerin Monika Grütters gemeint haben, als sie zum Abschied Kosslick mit den Worten lobte, dieser habe "die Berlinale an den Fronten der großen, kontroversen Debatten unserer Zeit positioniert: mit Filmen, die soziale Missstände beleuchten und Stellung beziehen, mit deutlichen Bekenntnissen zur gesellschaftspolitischen Mitverantwortung der Filmschaffenden."
Dieter Kosslick hat in seiner Amtszeit mit seiner menschenfreundlichen Art auch für gute Stimmung und Atmosphäre gesorgt. Auch das muss man als Festivaldompteur beherrschen. Kosslick hat sich für das deutsche Kino eingesetzt und, als das im Trend war, für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Er hat einen guten Draht zu vielen Stars und Filmschaffenden entwickelt.
Nur eines haben Kosslick und sein Team nicht geschafft: Dem Goldenen Bären ein Renommee zu verschaffen, wie es die Goldene Palme in Cannes hat - oder, anders ausgedrückt: Kosslick hat das Kino im Wettbewerb filmästhetisch nicht vorangebracht.