Keine Entscheidung ist eine gute Entscheidung
Was denn nun? Ist Afghanistan sicher genug, um dorthin abschieben zu können oder nicht? "Ja und Nein" - so kann man die Haltung der Bundesregierung grob zusammenfassen, wenn auch die Formulierungen gegenüber den Medien wesentlich diplomatisch-elaborierter sind. Die politischen Entscheidungsträger zeigen sich offenbar fest entschlossen, sich nicht entscheiden zu wollen.
Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan bleibt unklar
Und selbst für diese schwammige Haltung haben die Experten im Innen- und Außenressort mehr als zwei Monate gebraucht, um sich hierzu durchzuringen. Ende Mai, nach dem Anschlag vor der deutschen Botschaft in Kabul mit über 100 Toten, hatten die Ministerien der Öffentlichkeit, den Medien - und nicht zuletzt den afghanischen Flüchtlingen in Deutschland - eine Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan versprochen. Heute heißt es, ein "Zwischenbericht" der deutschen Botschaft werde den Bundesländern zugesandt. Der Befund lautet, dass die bisherige Position der Bundesregierung "nicht korrigiert werden müsse". Abschiebungen soll es weiterhin "in Einzelfällen" geben, die Sicherheitslage hänge unter anderem von der Region, den persönlichen Umständen und der ethnischen Herkunft der Betroffenen ab.
Während sich der Sprecher des Auswärtigen Amtes über die Schlussfolgerungen aus diesem Bericht ausließ, gab Berlin über den konkreten Inhalt der Akte selbst bisher aber nichts bekannt. Die Gründe dürften klar sein. Wenn der Bericht die Situation in Afghanistan korrekt wiedergibt, kommt er an den schrecklichen Fakten nicht vorbei. Das bisher als "sicher" gepriesene Kabul hat es mit mehr als 1000 Opfern von Anschlägen, Toten und Verletzten im ersten Halbjahr 2017 an die Spitze der Terror-Hotspots in Afghanistan geschafft. Im ebenfalls "sicheren" Herat starben allein in der vergangenen Woche 30 schiitische Gläubige, die sich friedlich zum Abendgebet versammelt hatten. Und erst am Wochenende massakrierten Taliban und IS-Gruppen offenbar zum ersten Mal in einer gemeinsamen Aktion 50 Dorfbewohner - Männer, Frauen Kinder. Das ganze im Norden des Landes, der immer noch als "sicherer" gilt als andere Landesteile.
Auch Afghanen wollen keine Straftäter
Wer wo, wie und wann in Afghanistan angeblich vergleichsweise wenig gefährdet ist - diese Antwort bleibt die Bundesregierung schuldig. Dabei hat sie im Prinzip ganz Recht, wenn sie Straftäter, Gefährder und Personen, die dauerhaft nicht angeben wollen, wer sie eigentlich sind, mit Abschiebung bedroht. Wer sich in den sozialen Medien unter den Afghanen umhört, wird auch dort viel entsprechende Zustimmung finden. Der Durchschnittsflüchtling möchte nicht in einen Topf mit Straffälligen oder Terroristen geworfen werden. Auch er möchte seine Kinder ohne Stigmatisierung aufwachsen sehen.
Es gibt sogar Stimmen auch unter den Flüchtlingen, die Straftäter (und das heißt nicht Schwarzfahrer!) durchaus auch in unsichere (Kriegs-)Gebiete ausweisen würden. Nur steht dagegen das Rechtsempfinden in Deutschland: In Regionen, in denen Krieg herrscht, soll nicht abgeschoben werden. Daher wird sich die Bundesregierung weiter schwer tun, Afghanistan als ganzes das Etikett "Kriegsgebiet" anzuhängen. Denn dann müssten auch jene hierbleiben, die als Straftäter oder Gefährder ein friedliches Zusammenleben mit den anderen Flüchtlingen in Frage stellen. Bleibt die Regierung bei ihrer Haltung, nur noch Straftäter und Gefährder abschieben zu wollen, dann - und nur dann - ist die Entscheidung der Bundesregierung, sich nicht klar zu entscheiden, ob und wo Afghanistan eigentlich einigermaßen sicher sein soll, bis auf weiteres vielleicht doch eine ganz gute Entscheidung.
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