Kolumne: LGBTI-Flüchtlinge in Berlin
6. August 2017"Ich weiß gar nichts", sagt mir ein junger Syrer, der gerade erst seit wenigen Wochen in Berlin lebt. Ursprünglich kommt er aus Aleppo. Über Dubai ist er jetzt in Berlin gelandet, dort, wo er endlich so leben kann wie er ist - als schwuler Mann. Ich frage ihn, ob er den Lesben- und Schwulenverband (LSVD) kennt? Oder die Schwulenberatung. Oder "GLADT", eine Organisation, die sich um Schwarze und farbige LGBTI-Menschen kümmert. Arif (Name geändert) schüttelt seine schmalen Schultern und steckt sich eine Zigarette an.
Ich lerne Arif auf der "Queer Movie Night" kennen. Einmal im Monat treffen sich hier bis zu 50 Männer und (wenige) Frauen in der Wohnung eines Freundes (ich war auch schon Gastgeber), um "queere" Filme zu sehen und zu diskutieren. "Queer" kommt aus dem Englischen und ist für uns alles, was von der Heteronormativität abweicht.
Wie etwa der US-Film "Moonlight" um das Coming-out eines schwarzen Jugendlichen, den wir gesehen haben, bevor er den Oscar gewann und in die Kinos kam. Ich bin froh, dass Arif über einen Freund zu uns gekommen ist. Auf gleichem Wege habe ich vor kurzem während des Berliner CSD Irina Fedotova kennengelernt. Jahrelang hat sie in Moskau versucht, die Pride-Parade zu organisieren. Schikanen und Schläge der Polizei haben das im Keim erstickt. Irina wurde eingesperrt und drangsaliert. Jetzt lebt sie in Luxemburg.
Party statt politischer Botschaft
Irina sagte bei unserer Movie-Night einen Satz, der mich nachdenklich stimmt. Der Berliner CSD mit seiner grell-provokativen Parade sei sehr cool. Aber er habe keine politische Botschaft. Anders als in Moskau, wo Irina unter Gefahren für Leben und Gesundheit auf die Straße gegangen sei.
Ich habe in Berlin mitgefeiert - und auch die politische Leerstelle gespürt. Also alles nur Fun und Egotrip? Nein! Ich denke an die vielen tollen Initiativen der Berliner LGBTI-Community für Flüchtlinge. Zum Beispiel der Freund eines Freundes, der einen Iraker beherbergt. Ein anderer kümmert sich, organisiert vom LSVD, als Mentor um einen Geflüchteten. Aber nicht alles glückt.
Missbrauch und Scheinheiligkeit in der Szene
Die Schwulenberatung bietet LGBTI-Flüchtlingen in ihrem Heim Schutz und Unterkunft. Doch nicht immer schützt das vor Prügel und einer gebrochenen Nase. Das jedenfalls ist dem queeren Tänzer Emrah Atayev (siehe Artikelbild) aus Turkmenistan passiert. Schon vorher - in einem anderen Heim - drückten ihm homophobe Flüchtlinge Zigaretten im Gesicht aus.
Emrahs Geschichte erschüttert mich. Sie ist kein Einzelfall. Die Gewaltstatistik des Senats zählt für das Jahr 2016 mehr als 300 Übergriffe auf LGBTI-Flüchtlinge. Und aus Gesprächen weiß ich: Die Dunkelziffer liegt viel höher. Ist das also die Willkommenskultur des weltoffenen Berlins?
Was für mich noch schlimmer wiegt: Gefahr lauert auch innerhalb der Berliner LGBTI-Community. Nackte Männer auf dem Dancefloor, sexuelle Ausschweifungen, Drogenexzesse - die jungen Geflüchteten sind überwältigt. Und das nutzen so manche aus. Sie missbrauchen die Flüchtlinge und machen sie abhängig. Sogar von Sex-Sklaven ist die Rede.
Mensch, wie scheinheilig ist das denn? Ich frage: Wurden die Täter überführt und öffentlich zur Rede gestellt? Was sagt die sonst so empörungsfreudige Community?
Auch queere Künstler haben es nicht leicht
So weit ist es bei Emrah nicht gekommen. Er lernt Deutsch und Oriental Ballet Dance. Und hat unlängst auf einem Benefizkonzert getanzt. Doch das ist die Ausnahme.
Insgesamt sind Jobs für Flüchtlinge rar in Berlin. 28.000 sind auf der Suche, fast doppelt soviel wie im letzten Jahr. Auch queere Künstler wie Emrah haben es schwer im ach so offenen Berliner Kunstbetrieb. Das schmerzt mich. Viele Talente verkümmern.
Immerhin gibt es Lichtblicke wie das "Exil-Ensemble" des Gorki Theaters. Oder im Kulturzentrum Radial-System das Festival "displaced - replaced" mit queeren türkischen Schriftstellern und Musikern, auch jenen, die wegen der Anfeindungen in ihrer Heimat nicht in die Türkei zurück wollen. Berlin mit seinen verschiedenen Communitys sei ideal für diese "entorteten" Künstler, sagt mir DJ Ipek, die als lesbische Musikerin und Aktivistin hier lebt und das Festival kuratiert. Gleichwohl beklagt sie "strukturellen Rassismus" - auch in der queeren Community. Wie recht sie hat. Am Abend legt DJ Ipek im "Kater Blau" auf, einem angesehenen Berliner Club. Wie immer betreiben die Türsteher am Eingang das Geschäft der Auslese. Vor meinen Augen verwehren sie drei völlig unauffälligen Jugendlichen den Zugang. Es sind Araber.