Kolumne: Kein Sommer in Berlin
30. Juli 2017"Was hältst du davon, wenn ich in Berlin 24/7 über die Mückenplage schreibe", frage ich meinen Freund. "Ok, wenn wir eine haben", gibt er mit leicht fragendem Unterton zurück. Meine Antwort: "Ja, alle reden davon. Und du bist auch schon gestochen worden. Und zwar gleich im Zehnerpack." Kann eine Argumentation stichhaltiger sein?
Ferienzeit – aber nicht für Mücken
Es ist Ferienzeit. Die Berliner sind weg, die Mücken bleiben. Aber warum sollten unsere stech- und saugefreudigen Quälgeister auch weiterziehen? Sie haben es doch gut hier. Lesen Sie nur die Schlagzeilen der Berliner Zeitungen, dann wissen Sie, warum es sich hier als Mücke so gut leben lässt: "Der Sommer säuft ab", "Nach dem Platzregen folgt der Dauerregen", "Schon wieder ist ein Unwetter im Anmarsch": Berlin, ein Feuchtgebiet. Dem Klimawandel sei Dank. Doch was der Mücken Freud, ist noch lange nicht des Berliners Leid!
Ok, der Sommer hat erst einmal abgedankt. Aber der Berliner will das nicht so ohne weiteres hinnehmen. Wenn es um Sommer-Fun geht, versteht er keinen Spaß. Zur Not geht das auch ohne permanenten Sommer. Jede Regenlücke nutzt er aus, um aus den dunklen, meist balkonlosen Wohnungen rauszukommen und in die sommerschwülen Parks zu strömen. Links den Grill in der Hand, rechts das Fleisch und irgendwo darüber den Schirm.
Kreuzberger Nächte sind lang
Oder nächtliches Chillen an einem der vielen lauschigen Kanalplätzchen. Sehr beliebt ist da in Kreuzberg die Admiralbrücke am Landwehrkanal. Touristen und Berliner sitzen friedlich nebeneinander. Mit Bierflasche und guten Freunden lässt es sich lange aushalten. Zur übergroßen Freude der Anwohner, die im Kampf gegen Schlafentzug sogar die Ordnungshüter zur Hilfe rufen. Was eine gänzlich ungewohnte Übung in dem für linkes Revoluzzertum bekannten Bezirk ist. Aber (Schlaf-)Not macht bekanntlich erfinderisch – und prinzipienlos.
Wer von der Straße vertrieben wird, dem bleiben als letzter Zufluchtsort die Biergärten. Vorausgesetzt, es regnet nicht. Dann ist Berlin ein einziger großer Biergarten. Am schönsten finde ich den "Prater" am Prenzlauer Berg. Er ist Berlins ältester Biergarten – kastanienbaumbehütet und sehr bekannt, leider auch für lärmende Junggesellschabschiede.
Im Sommer ist Berlin Bierstadt
Überhaupt punktet Berlin gerade wieder als Bierstadt. Nein, nicht mit dem "Berliner Weisse", das mit Waldmeister- oder Himbeersirup den Zuckerpegel ruckartig in die Höhe treiben lässt.
Bier in Berlin geht mittlerweile anders. Überall bieten kleine Brauereien ihr handgerührtes Gebräu an: Pünktlich zu Beginn der Sommerferien konnte man auf der "Berlin Beer Week" jetzt sein blaues Wunder erleben. Und von einem Highlight zum nächsten taumeln. Keine Industrieplempe stürzt da die Gurgel hinunter, sondern edle Brau-Tropfen zergehen auf der Zunge.
Auch beim "Food-Pairing Dinner" im Restaurant Herz & Niere (ja das gibt es in Berlin!), bei dem der deutsche Meister der Biersommeliers, Frank Lucas, zu exquisiten Gerichten das passende Bier ausschenkt. Bei ihm steht die "Keule vom Bauerngockel" im Dialog mit dem "Baltic Ale". Und die "krosse Fischhaut" lässt er vorzugsweise im Bier vom "Seepferd" schwimmen. Wer die Köstlichkeiten lieber in anderen Essenzen schwimmen lässt: Keine Sorge! Die nächste Wein-Woche steht schon vor der Tür.
Trauermarsch von der Waldbühne
Hier ist der Moment, einen Eindruck zu korrigieren. Berlin im Sommer, das ist nicht nur Food, sondern – richtig – auch Feiern und Feste: Zuletzt der CSD, der im Prasselregen absoff. Das gleiche Schicksal drohte dem Konzert der Berliner Philharmoniker in der Waldbühne, meinem Berliner Lieblingssommerplatz. Inmitten der Natur lässt sich hier Musik so herrlich entspannt genießen. Normalerweise. Doch schon vor dem ersten Ton verbreitete der wolkenschwarze Himmel Weltuntergangsstimmung. Der Trauermarsch aus Wagners Götterdämmerung war da nicht gerade aufheiternd. Nur ein paar ungebetenen Gäste schwirrten bestens aufgelegt in der Luft herum: Die kleinen Sauger mit dem langen Stachel. Schließlich war fette Beute in Sicht.