Kolumne: Großes kleines Berlin
13. August 2017Endlich! Endlich mal der Größte sein. Geben wir's zu. Wer wünscht sich das nicht. In der 3D-Modellstadt von Little Big City Berlin klappt das ganz gut: Der Maßstab 1:24 macht's möglich. Da ist selbst der Zwerg ein Riese. Für mich - 1,85 groß, mit altersbedingter Tendenz nach unten - reicht es jedenfalls.
Berlin - ziemlich unaufgeräumt
Wie schön, nun hat man mal den Überblick in dieser chronisch chaotischen Stadt. Das sind meine ersten Gedanken, als ich den abgedunkelten Ausstellungsraum betrete. Bis ich genau hinschaue. Berlin liegt vor mir, aber ziemlich unaufgeräumt: Fast 700 Jahre Geschichte auf 270 Quadratmetern. Mehr als 5000 Figuren vom "Alten Kaiser Fritz" über J.F. Kennedy bis zu den Demonstranten der friedlichen Revolution in der DDR: "Wir sind das Volk". Alle handbemalt. Dazu Gebäude, die mit Hilfe von 3D-Druckern entstanden sind. Alles von einem Kreativ-Team in London angefertigt - innerhalb von rekordverdächtigen 18 Monaten. Tipp an Berlins Bürgermeister Müller und die Manager der Ewig-Baustelle des Berliner Großflughafens: Versucht es doch mal eine Nummer kleiner, mit 1:24!
Ich bahne mir meinen Weg durch die Ausstellung. Ganz vorne stolpere ich fast über den Vorgängerbau des gerade wiedererrichteten Stadtschlosses: die Trutzburg von Kurfürst Friedrich, des ersten Hohenzollers in Berlin. Seinen Spitznamen "Eisenzahn" trägt er wegen ausufernder Menschenfreundlichkeit. Er praktizierte sie vorzugsweise in seinen schlosseigenen Kerkern. Doch plötzlich werden meine majestätsbeleidigenden Gedanken durch ein wildes Flackern unterbrochen. Weiter hinten brennt der Reichstag lichterloh, mit Hilfe von sieben Licht-Projektoren. Eine viel zu kleine Tafel informiert, dass die Nazis den Brand als Vorwand für eine große Verhaftungswelle genutzt hatten. Auch die Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz ist nachgestellt. Um die 25.000 Bücher vernichteten die Nazis dort. Hier, im Miniaturberlin, sind sie nur ein niedliches Häufchen.
Historische Currywurst
Nicht weit davon entfernt hat Marlene Dietrich ihren großen Aufritt in 1:24. Auf einem Podest daneben rollen normalerweise sowjetische Panzer durch das kriegszerstörte Berlin. Aber heute gerade mal nicht. Die Panzer haben Ruhetag, wegen einer technischen Panne, wie mir eine nette Mitarbeiterin von Little Big City erklärt. Ihr Haupt-Job besteht aber nicht darin, Pannen zu entschuldigen. Sie weiß zu jeder der Modellszenen kleine Geschichten. Etwa zu "Konnopkes Traditions-Imbiss", wo es noch heute historische Currywürste gibt. Oder zum Fall der Mauer, den der Besucher auf Knopfdruck selbst auslösen kann. Wie praktisch: "Klapp" und die Mauer ist weg - so einfach geht's. Das ist eine der wenigen Aktionen, die das Kinderherz in mir erfreuen. Ansonsten gibt es wenig zu tun und nichts anzufassen für die Besucher, obwohl die Leute von Little Big City von ihrer "interaktiven Miniaturstadt" nur so schwärmen. Interaktiv ist auf jeden Fall einer: Der Mann an der Kasse, der von jedem Besucher stolze 16 Euro verlangt.
Auferstanden: Der Palast der Republik
Immerhin finde ich noch einen anderen Knopf, der für Spaß sorgt. Er befindet sich vor dem Palast der Republik (Artikelbild). Ja, Sie haben richtig gelesen. Honeckers hässlicher "Lampenladen" (Zitat Volksmund), in dem das frühere DDR-Pseudoparlament tagte, war nach der Wende abgerissen worden. Er sollte in Frieden ruhen - und das völlig verdient. Hier ist er wieder auferstanden aus den Ruinen. Und dezent herausgeputzt, wenn auch nur in volksdemokratischer Billig-Ausführung: Mit Spanplatte und Acryl - und eben dem gewissen Knopf: Der setzt die im Stechschritt paradierenden Soldaten der Nationalen Volksarmee lautstark in Marsch.
Als ich beim Hinausgehen schließlich am Modell des neuen Potsdamer Platzes vorbeigehe, kommen mir plötzlich Zweifel: Berlin als Little Big City? Ist das Konzept aufgegangen? Oder wird hier Geschichte verniedlicht, verzwergt, eingestampft?
Auf jeden Fall wirkt alles viel braver als die Wirklichkeit. Das reißt mich nicht vom Hocker. Aber sagen wir's mal so: Als Einstiegsdroge für Touristen und Neu-Berliner kann das funktionieren. Als eine Art Joint für Berlin-Anfänger.