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Kobler: "Das Blatt wendet sich"

Max Borowski26. August 2013

Eskalation im Ostkongo: Zum ersten Mal hat die UN-Mission MONUSCO mit Waffen in den dortigen Konflikt eingegriffen. "Wir sind hier, um Menschen zu schützen", sagt Missionschef Martin Kobler im DW-Interview.

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Der UN-Sondergesandte Martin Kobler (Foto: Karim Kadim/AP/dapd)
Bild: dapd

Im notorisch unruhigen Osten der Republik Kongo ist die UN-Stabilisierungs-Truppe MONUSCO zum ersten Mal überhaupt offensiv gegen Rebellen vorgegangen. Mit Artillerie und Hubschraubern beschoss sie Stellungen der Gruppe M23. Kurz darauf starben bei einer Demonstration in der Stadt Goma zwei Menschen. Augenzeugen belasten UN-Soldaten aus Uruguay. Der MONUSCO-Chef und deutsche Diplomat Martin Kobler hofft im DW-Interview allerdings, dass seine Soldaten trotz dieses Zwischenfalls das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen können.

DW: Herr Kobler, Sie sprechen mit uns im Moment aus Kinshasa. Sie waren aber auch im Ost-Kongo in Goma selbst vor Ort. Wie dramatisch ist die Lage?

Martin Kobler: Die Lage in Goma ist gespannt. Ich habe die letzten drei Tage in Goma verbracht. Es war ein Einsatz unserer MONUSCO-Truppen gegen die Stellungen der M23. Ich war selbst an der Front und habe beobachtet, wie wir eingegriffen haben in die Kämpfe und die kongolesische Armee mit Artillerie, Kampfhelikoptern und anderen Mitteln tatkräftig unterstützt haben.

Es ist nicht akzeptabel, dass bewaffnete Gruppen mit Mörsern und Raketen die Stadt Goma beschießen. Ich habe einen Befehl gegeben an den Kommandanten unserer Truppen, mit aller Kraft hier zu demonstrieren, dass die Bevölkerung von Goma sich das nicht bieten lassen kann. Wir sind hier im Kongo, um Menschen zu schützen, das ist unsere Hauptaufgabe: der Schutz der Zivilbevölkerung. Und wir haben mit allem, was wir haben, in die Kämpfe eingegriffen, damit sich diese Angriffe nicht wiederholen.

Karte des Ostkongo (Grafik: DW)
Unruhige Region: Nun haben erstmals UN-Soldaten in die Kämpfe eingegriffen

Sie sagen, Sie sind da, um die Bevölkerung zu schützen. Am Wochenende kam es zu einem tragischen Zwischenfall. Zwei Demonstranten wurden, so der Vorwurf, von UN-Soldaten getötet. Kann man so die Zivilbevölkerung schützen?

Die Bevölkerung von Goma ist sehr ungeduldig. Ich verstehe die Frustration, dem Beschuss von bewaffneten Gruppen ausgeliefert zu sein. Aber es ist auch völlig klar, dass wir der Bevölkerung klar machen müssen, dass wir, die UNO, weder der Feind sind noch die Lösung der Probleme des Kongo.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass gegen uns demonstriert wird. Ich habe über unser hauseigenes Radio "Okapi" mehrere Appelle an die Einwohner gerichtet, uns zu unterstützen. Wenn durch Demonstrationen, durch Straßenblockaden und Steinewerfen unsere Arbeit erschwert wird, können wir der Bevölkerung nicht helfen. Wir tun alles, was in unserer Macht steht, und wir haben dies zum ersten Mal getan mit allem, was wir haben.

Aber gerade vor dem Hintergrund dieser langjährigen Frustration der Bevölkerung gegenüber der UNO: Wie frustriert sind Sie denn als Chef, dass es zu einem solchen Zwischenfall und toten Zivilisten kam?

Ich bedauere natürlich den Tod der Demonstranten, aber es ist ja nicht gesagt, durch wen sie umkamen. Wir haben natürlich sofort eine Untersuchung eingeleitet in Kooperation mit den kongolesischen Behörden. Es wird sich dann herausstellen, durch was diese Menschen zu Tode gekommen sind.

Ein Vorwurf lautet ja, sie wären mit scharfer Munition erschossen worden. Dürfen Ihre Soldaten gegenüber Demonstranten scharfe Waffen verwenden?

Jeder darf sich selbst verteidigen, wenn Molotow-Cocktails auf ihn geworfen werden. Diese Demonstranten haben unsere Tankstation angegriffen. Sie haben unsere Autos mit Steinen beworfen. Das sind alles Dinge, die sind verständlich aus der Sicht der Bevölkerung, die wirklich über Jahrzehnte gequält wurde und die es satt hat. Aber die Schuldigen sind doch die Rebellengruppen. Das sind doch nicht wir. Ich appelliere an die Bevölkerung, uns zu helfen. Wir können nur in Partnerschaft mit Bevölkerung und Regierung hier arbeiten, um diesem Treiben (der Rebellengruppen, Anm.d.Red.) ein Ende zu setzen.

Dem Treiben der Rebellen hat die internationale Gemeinschaft jahrzehntelang nur zugeguckt. Ist die Operation am Wochenende wirklich die Wende gewesen?

Es ist nicht akzeptabel, dass die Zivilbevölkerung hier von Rebellengruppen beschossen wird. Das ist ein Kriegsverbrechen. Es sind ja auch unsere eigenen Stellungen angegriffen worden. Auch das ist inakzeptabel und deswegen werden wir mit aller Kraft reagieren.

Können Sie da schon eine Bilanz ziehen? Hat das die gewünschte Wirkung gehabt? Und wenn nicht: Wie weit ist die UNO bereit zu gehen?

Nun, es gibt keine militärische Lösung dieses Konfliktes mit der M23. Es kann nur eine politische Lösung geben. Es gibt ja Gespräche in Kampala zwischen der Regierung des Kongo und der M23. Aber das schließt militärische Aktionen nicht aus. Ich bin nicht vorrangig hier, um Aktionen zu befehlen, die zum Verlust von Menschenleben führen. Das ist wirklich nicht unsere Absicht. Es muss einen politischen Prozess geben, um dem Treiben der Rebellen ein Ende zu setzen.

Dadurch, dass die Bevölkerung sieht, dass wir eigene Verwundete haben, dass wir zum ersten Mal unsere Kraft eingesetzt haben, finde ich, dass sich das Blatt auch aus Sicht der Bevölkerung wendet. Ich bin der Regierung des Kongo sehr dankbar, dass sie fünf Minister nach Goma geschickt hat, um Solidarität mit uns zu demonstrieren.

Dieser lokale Konflikt spiegelt sich ja in einem größeren Streit wider, dem zwischen Ruanda und dem Kongo. Sehen Sie die Gefahr, dass Ihre Soldaten da in einen internationalen Konflikt hineingezogen oder für einen solchen missbraucht werden könnten?

Nun, wir folgen unserem Mandat, und das Mandat heißt, die Rebellengruppen zu bekämpfen, wo immer sie sind. Wir wollen nicht mit anderen hier Krieg führen. Unser Mandat ist sehr klar: Schutz der Zivilbevölkerung, aber es erlaubt auch eine offensive Reaktion gegenüber Rebellengruppen. Das ist das neue Mandat, das im März verabschiedet wurde.

Wir haben ja in der Geschichte – Srebrenica und Ruanda – sehr negative Beispiele, wo die UNO in der Tat zugeschaut hat. Diese Phase haben wir längst hinter uns gelassen. "Peacekeeper" heute, und wir haben 19.000 von ihnen im Kongo, schützen die Zivilbevölkerung, wenn immer sie angegriffen wird und schauen nicht zu. Es ist natürlich schwierig, in einem Riesenland, das die Ausmaße Europas hat, hier immer überall gleich präsent zu sein. Aber da, wo wir präsent sind, da wird das gemacht.

Und das andere ist die neue Entwicklung mit der Interventionsbrigade, für die wir ein Mandat haben, aktiv und offensiv Rebellengruppen zu "neutralisieren", wie es in der Resolution heißt. Diese Brigade ist noch im Aufbau, aber sie kam zum Einsatz am vergangenen Wochenende.

Das Interview führte Max Borowski.