Mut zur Lücke oder "ein Riesenstück Arbeit"?
2. Februar 2018Die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD haben sich vor den entscheidenden Verhandlungsrunden über die Fortsetzung der großen Koalition vorsichtig optimistisch geäußert. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach vor einem "Riesenstück Arbeit", das noch vor den Spitzenvertretern der Parteien liege. "Es gibt noch eine ganze Reihe sehr ernster Dissenzpunkte", sagte die CDU-Chefin vor dem Willy-Brandt-Haus. "Wir sind guten Willens, sie zu überwinden."
CSU-Chef Horst Seehofer äußerte sich zuversichtlicherer: "Ich bin sehr guter Dinge. Ich denke, wir schaffen das die nächsten Tage." Als Knackpunkte nannte er die Themen Krankenversicherung und Arbeitsrecht. Sollte sich ein höherer Finanzspielraum als die veranschlagten 46 Milliarden Euro für die künftige Bundesregierung ergeben, sollte das Geld vornehmlich zusätzlich für Digitalisierung, die Bundeswehr und Entwicklungshilfe ausgegeben werden.
AG Gesundheitspolitik: Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück
Als entscheidende Knackpunkte nennen die GroKo-Unterhändler übereinstimmend die Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin und von sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen, beides fordert die SPD. In diesen Punkten werde man in den kommenden Tagen noch "hart" verhandeln, kündigte Schulz vor der Parteizentrale der Sozialdemokraten an. SPD-Vize Manuela Schwesig betonte: "Da muss die Union sich bewegen."
Ein der Nachrichtenagentur Reuters vorliegendes Papier der Arbeitsgruppe Gesundheit klammert derzeit Eingriffe ins Versicherungssystem komplett aus. Die SPD hatte darauf gepocht, durch die Verringerung der Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten zumindest Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung zu gehen, wozu etwa auch die Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Beamte genannt wurde.
Dem Papier zufolge gibt es allerdings schon erste Übereinstimmungen: Union und SPD sind sich bereits einig, die ambulante Versorgung stärken zu wollen. Die Bedarfsplanung zur Verteilung der Praxiszulassungen soll "kleinräumiger, bedarfsgerechter und flexibler" gestaltet werden, berichtet Reuters. Mehr Geld soll es für kassenärztliche Vereinigungen geben, die damit Medizinern finanzielle Anreize für die Niederlassung auf dem Land bieten können. Auch das Budget für Innovationen, mit dem neue Versorgungskonzepte etwa im Bereich E-Health finanziert werden, soll über das Jahr 2019 hinaus mit einem Volumen von 200 Millionen Euro im Jahr gesichert werden.
Der Dissens steckt im Details
Zudem treten Union und SPD für "deutlich erhöhte Investitionen" in Krankenhäuser für Umstrukturierungen, neue Technologien und Digitalisierung ein. Das derzeitige Finanzierungsmodell dafür soll grundsätzlich fortgesetzt werden: ein sogenannter Strukturfonds, der bislang durch die Finanzreserve der GKV und den Ländern mit einmalig einer Milliarde Euro für solche Investitionen zur Verfügung stand.
Doch der Dissens steckt im Details: Die SPD will diesen Fonds bei einer Milliarde Euro pro Jahr anlegen, den hälftigen Bundesanteil dabei aus Steuermitteln finanzieren. CDU und CSU wollen ihn nur mit insgesamt 500 Millionen Euro im Jahr fortsetzen.
Entschlossen seien die Verhandlungspartner darin, die digitale Infrastruktur des Gesundheitssystems ausbauen und die seit langem geplante elektronische Patientenakte für alle Versicherten einführen. Ebenso wollen die Koalitionsparteien als Regierung die Mindestbeiträge für kleine Selbstständige in der GKV zu senken, ungeklärt ist aber auf welches Niveau. Strittig bleibt in dem Papier, ob der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneien wie von der Union gefordert verboten werden soll.
Union und SPD wollen Kriminalität in Konzernen härter ahnden
Einig wurden sich die Verhandlungspartner außerdem beim Thema Wirtschaftskriminalität: "Wir werden sicherstellen, dass bei Wirtschaftskriminalität grundsätzlich auch die von Fehlverhalten von Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden", heißt es im Entwurf zum Koalitionsvertrag der Rechtsexperten, der Reuters ebenfalls vorliegt.
Bislang liege es noch im Ermessen der Behörden, ob auch das Unternehmen selbst verfolgt werde. Die Bußgeldobergrenze solle zudem für größere Unternehmen erhöht werden. Statt der geltenden pauschalen Grenze von zehn Millionen Euro solle künftig die Höchstgrenze bei zehn Prozent des Umsatzes liegen. Bei Dax-Konzernen beläuft sich der Umsatz teils auf über 100 Milliarden Euro, so dass die Höchstgrenze dann mehr als zehn Milliarden Euro betragen könnte.
Schulz will keinen Zeitdruck
Über das Wochenende kommt im Willy-Brandt-Haus in Berlin erstmals die große Runde der mehr als 90 Unterhändler der drei Parteien zusammen: Bis Sonntagabend wollen sie ein abstimmungsreifes Koalitionspapier erzielen. CSU-Chef Horst Seehofer zufolge gebe keinen Anlass, davon auszugehen, dass die Verhandlungen länger dauerten. SPD-Parteichef betonte, es gebe dennoch bei den Verhandlungen keinen Zeitdruck. Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit. An sich wollten die Verhandler bis spätestens Dienstag fertig sein. Seit der Wahl am 24. September 2017 regieren Union und SPD in Deutschland nur geschäftsführend.
ml/myk (rtr, afp, dpa)