Plötzlich Öko: Macron und die grüne Welle
5. Juli 2020Es sind in der Regel wohlhabende Kunden, die in der Pariser Mercedes-Niederlassung in der Nähe des Eiffelturms nach einem neuen Wagen Ausschau halten. Auf zwei Etagen mit viel Glas werden hier, in der Rue de Longchamp, die edelsten Modelle des Stuttgarter Autobauers präsentiert.
Wer so ein Auto in Frankreich fahren will, muss seit Jahresbeginn deutlich tiefer in die Tasche greifen. Zum 1. Januar 2020 hat die Regierung die CO2-Steuer für Autos kräftig erhöht. Beim Spitzenmodell der S-Klasse sind zum Beispiel 20.000 Euro fällig - zusätzlich zum hohen Kaufpreis.
Verschärfte Klimaschutz-Gesetze
Die CO2-Steuer auf Autos, die flankiert wird von dem strengen Umweltplakettensystem Crit'Air in den großen Städten, ist ein Beispiel für die verschärfte Umweltgesetzgebung im Land und für den Wunsch nach Klimaschutz, der in Bevölkerung und Politik mittlerweile weit verbreitet ist.
Vor neun Monaten hatte Staatspräsident Emmanuel Macron 150 per Zufall ausgewählte Französinnen und Franzosen gebeten, Vorschläge für mehr Klimaschutz auszuarbeiten. Vor wenigen Tagen lieferte das Gremium seine Ideen an den Präsidenten: Zu den 150 Forderungen zählen ein Verbot für Inlandsflüge, die Einführung von Flaschenpfand, eine Klimasteuer für Wohlhabende und ein allgemeines Tempolimit von 110 (statt derzeit 130) Stundenkilometern. Das Tempolimit allerdings, so der Präsident nach der Vorstellung der Liste, sei einer von drei Punkten, die seine Regierung in der nun beginnenden politischen Debatte nicht weiter berücksichtigen werde.
Grüne regieren die großen Städte
Wie groß die grüne Welle ist, die Frankreich erfasst hat, zeigen auch die Ergebnisse der Kommunalwahlen vor einer Woche. Die traditionell eher schwachen Grünen gingen als große Wahlsieger aus der Abstimmung hervor, während die Präsidentenpartei La République En Marche ein Debakel erlebte.
In Bordeaux, Lyon und Straßburg haben Kandidaten der Grünen die Rathäuser erobert. Das besonders prestigeträchtige Bürgermeisterinnenamt von Paris hat zwar mit Anne Hidalgo die sozialistische Amtsinhaberin verteidigt, aber mit einem Wahlkampf, der fast vollständig auf grüne Themen gesetzt hat.
Der Charme der Bürgerbewegung
Für den Frankreich-Experten Henrik Uterwedde haben aber nicht nur die grüne Programmatik zu diesem Erfolg beigetragen, sondern auch die Tatsache, dass das alte Parteiensystem in Frankreich seit dem Wahlsieg Macrons 2017 in Trümmern liegt.
"Die grünen Wahlsieger sind eigentlich Gruppierungen, die der ursprünglichen Bewegung von Macron aus dem Jahr 2016/17 sehr nahe kommen. Das sind oft keine Politprofis, keine gestandenen Politiker, die schon 20 Jahre Mandat hinter sich haben. Das sind Leute, die aus der Zivilgesellschaft kommen, aus der Umweltbewegung, aus Initiativen."
Gut möglich, so der Wissenschaftler vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg, dass sich die totgesagte politische Linke unter der Führung der Grünen neu formieren könne. Bisher allerdings fehlen dem grünen Erfolg in der Fläche charismatische Führungsfiguren in Paris, die diese lokale Zustimmung in einen Einfluss auf die nationale Politik umwandeln könnten.
Wie grün wird die Regierung?
Auch der Präsident wird dem grünen Erfolg nicht tatenlos zusehen. Dem Klimaschutz hatte er schon zu Beginn seiner Amtszeit große Bedeutung beigemessen. So machte Macron den in der Bevölkerung populären Fernsehmoderator und Umweltschützer Nicolas Hulot zum Umweltminister. Doch Hulot schmiss nach nur einem Jahr das Handtuch: Die Umwelt und der Klimawandel, so der scheidende Minister damals, hätten für Macron keine Priorität.
Seit Freitag amtiert mit Jean Castex ein neuer Premierminister. Wen er in Abstimmung mit dem Präsidenten in den kommenden Tagen als Umweltminister auswählen wird, könnte ein Hinweis darauf sein, wie es mit dem Umwelt- und Klimaschutz in Frankreich weitergehen wird.
Gelbwesten reloaded?
Sollte die neue Regierung weitere schmerzhafte Einschnitte zugunsten des Klimaschutzes ins Auge fassen, droht eine weitere Spaltung im Land. Schon die Gelbwesten-Bewegung war als Reaktion auf eine Ökosteuer-Erhöhung auf Kraftstoffe entstanden. Vor allem Geringverdiener auf dem Land und Pendler klagten damals über die zusätzliche finanzielle Belastung. Der Regierung in Paris warfen sie vor, ihre Ängste und Nöte zu ignorieren.
An diesem Grundproblem hat sich bis heute nichts geändert. Eine wirkliche Bürgerbeteiligung kann Frankreich-Forscher Uterwedde jedenfalls nicht erkennen: "Wir haben hier einen Präsidenten, der die Bodenhaftung verloren hat und dem man jetzt auch zu Recht einen autokratischen Stil vorwirft." Diese fehlende Rückkopplung zwischen der Politik in Paris und den Bürger gehört seit Jahrzehnten zu den großen Problemen der französischen Politik. Anders als im föderalistischen Deutschland fehlt es an politischen Zwischenebenen, auf denen konkurrierende politische Lager in die Entscheidungen mit einbezogen werden.
Strafsteuer für die Mittelschicht
In Frankreich entscheidet der Präsident - und entsprechend konzentriert sich auch die Wut der Bürger auf den Amtsinhaber im Elysée-Palast. Ein engagierter Klimaschutz dürfte dieses Problem von neuem zu Tage fördern: "Bei uns in Deutschland haben die Parteien wohl verstanden, dass man nicht einseitig entweder auf Ökologie oder aufs Soziale setzen kann. Die Politik muss versuchen, dies zu verknüpfen. Soweit ist man in Frankreich aber noch nicht."
Bei Mercedes in der Pariser Rue de Longchamp lässt sich das gut besichtigen. Dass die Reichen für ihre Luxus-Karossen 20.000 Euro Strafe an den Staat zahlen müssen, dürften viele Spaziergänger gerecht finden, die ihre Nase an die großen Schaufensterscheiben drücken. Doch auch die Mittelschicht ist vor dem Griff des Staates ins Portemonnaie der Bürger nicht geschützt. Für einen kleinen Lada-Geländewagen aus Russland sind ebenfalls 20.000 Euro Strafe fällig - und damit mehr als der Kaufpreis.