Klimaberichte wie Jägerlatein
27. Oktober 2015"Der Synthesebericht des Fünften Sachstandberichts wurde […] in Kopenhagen verabschiedet. Bei der IPCC-Plenarsitzung wurde die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger Zeile für Zeile von den Regierungen verabschiedet und der zugrundeliegende Bericht abschnittweise angenommen."
Wenn Sie sich bis zu dieser Textpassage durchgerungen haben, stellen Sie sich wahrscheinlich die Frage: Habe ich den Inhalt dieser Sätze verstanden? Wenn Sie mit "Ja" antworten können, sind Sie vermutlich promovierter Wissenschaftler und Mitglied des IPCC. Oder überdurchschnittlich gebildet.
Die Sätze stammen nämlich von der Homepage der Deutschen IPCC Koordinierungsstelle. Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ist ein wissenschaftliches zwischenstaatliches Gremium. Ihm gehören Regierungen an sowie Hunderte internationaler Klimaforscher und Wissenschaftler relevanter Fachrichtungen. Der IPCC wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet. 2007 erhielt der IPCC sogar den Friedensnobelpreis - gemeinsam mit dem US-Amerikaner Al Gore.
Die IPCC-Forscher erstellen Klimaszenarien und Gutachten über Ursachen und mögliche Folgen des Klimawandels. Außerdem informieren sie die politischen Entscheidungsträger über den wissenschaftlichen Stand der Klimaforschung - eine komplexe Angelegenheit.
Politiker benötigen Promotion zum Verhandeln
Die Vermittlung der Thesen und Theorien ist vertrackt. Die durchweg in Englisch verfassten Botschaften des Weltklimarats werden nämlich weder von Politikern noch von Beamten in Ministerien geschweige denn von Laien im Detail verstanden. Die Konsequenz: Bei der Umsetzung der Berichte hapert es. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forscherteam, das die Berichte des IPCC von 1990 bis 2014 analysierte. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal "Nature Climate Change" veröffentlicht.
"Die Verwirrung, die durch den Schreibstil der Zusammenfassungen entsteht, könnte die Bekämpfung der Treibhausgasemissionen behindern", befürchtet Ralf Barkemeyer, Hauptautor und Professor für nachhaltige Unternehmensführung an der Kedge Business School in Bordeaux, Frankreich. Die Lesbarkeit stuft Barkemeyer als außergewöhnlich niedrig ein, denn die Texte seien gespickt mit ungewöhnlich langen Sätzen und Fachtermini.
Sie sind das Ergebnis wochenlanger Verhandlungen zwischen Fachleuten und Regierungsvertretern. Wort für Wort, Satz für Satz, Zeile für Zeile werden politikneutral formuliert. Der Bericht des Weltklimarates dient wiederum als Basis der jährlich stattfindenden UN-Klimakonferenz. Das jeweilige Abschlussprotokoll der 194 Vertragsstaaten ist das einzige völkerrechtlich verbindliche Vertragswerk für Klimaschutzpolitik.
Missverständnisse bei Formulierungen können gravierende Folgen für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft nach sich ziehen. Denn der IPCC-Report enthält auch Optionen und Empfehlungen zur Anpassung an die Erderwärmung und zu deren Reduzierung.
Wie stille Post: Am anderen Ende kommt was ganz anderes raus
Co-Autor Giulio Napolitano von der Universität Bonn sagte, die Ursache für die Verständlichkeitsdefizite begründeten sich auf dem Zwang, Kompromisse zu machen. Selbst die Berichterstattung in den Medien werde von den Klimaberichten beeinflusst: Die Forscher fanden mit einer speziellen Software heraus, dass die Ergebnisse und Empfehlungen in der Berichterstattung für die Öffentlichkeit emotionaler und pessimistischer dargestellt werden, als es die rational und neutral verfassten IPCC-Werke vorgegeben. Dadurch könne die Öffentlichkeit die Zusammenfassungen nicht verstehen. Klimaskeptiker könnten die Ergebnisse sogar falsch interpretieren, so Napolitano.
Die Wissenschaftler empfehlen dem Weltklimarat, die Verständlichkeit seiner Berichte zu verbessern, um im Kampf gegen die Klimaerwärmung rascher voranzukommen. Der IPCC prüft daher derzeit einen Vorschlag, Schriftsteller und Grafik-Experten hinzuzuziehen, um die Berichte der Wissenschaftler verständlicher zu formulieren.
Ralf Barkemeyer ist allerdings skeptisch: Er befürchtet, dass weitere Beteiligte möglicherweise zusätzlich Verwirrung stiften könnten, als wenn nur Wissenschaftler und Regierungsvertreter über den eigentlichen Text verhandeln.