Kirsten Boie - Humorvolle Anwältin der Kinder
19. März 2015Wäre sie im Schuldienst geblieben, hätte sie spätestens diesen März von den Kindern und Jugendlichen Abschied nehmen müssen. Als Schriftstellerin aber gibt es für Kirsten Boie kein Rentenalter. Und so hat sie für ihren 65. Geburtstag am 19. März vor allem einen Wunsch: "Ich möchte so lange weiter Bücher schreiben, wie es mir und den Lesern Freude macht." Und noch einen Vorteil habe ihr Beruf, sagt sie im Gespräch mit der DW. "In meinen Lesungen begegne ich vielen Kindern und Jugendlichen."
Diese Begegnungen sind Kirsten Boie schon seit Beginn ihrer Karriere als Schriftstellerin wichtig. Sie liebt es, mit Kindern und Jugendlichen über ihre Bücher zu diskutieren. "Kinder sind unglaublich ehrlich und gerade das macht mir Spaß." Etwa, wenn sie offen sagen, dass sie den Ausgang einer Geschichte blöd finden oder enttäuscht sind, weil sie sich eine berühmte Schriftstellerin ganz anders vorgestellt haben, "nicht so eine Oma". Kirsten Boie nimmt es mit dem gleichen Humor, der sich auch in vielen ihrer Bücher wiederfindet.
Ein Glücksgriff für das Kinderbuch
In den vergangenen 30 Jahren hat die Hamburger Autorin rund 80 Bilderbücher, Kinder- und Jugendromane veröffentlicht. Mit ihrem umfangreichen und mit vielen Preisen bedachten Werk gehört Boie zu den bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautoren Deutschlands. Ihre Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, zum Beispiel Chinesisch, Japanisch, Schwedisch oder Hebräisch. Dabei kam sie eher zufällig auf die Idee, ein Buch zu schreiben.
Kirsten Boie hatte als Lehrerin am Gymnasium und an Gesamtschulen in sozialen Brennpunkten Hamburgs unterrichtet, musste aber aufhören zu arbeiten, als sie ihr erstes Kind adoptierte. So verlangte es das Jugendamt. Damals gab es die Auflage, dass ein Ehepartner zu Hause bleiben musste, um sich ganz um das adoptierte Kind kümmern zu können. Die Erlebnisse ihres schwarzen Adoptivkindes schrieb sie 1985 in "Paule ist ein Glücksgriff" auf.
Werteorientiert, aber nicht moralisch
Das Buch war auch ein Glücksgriff. Der Hamburger Oetinger-Verlag veröffentlichte die Geschichte sofort, denn über das Thema Adoption gab es kaum etwas. Schon gar kein Kinderbuch, das humorvoll und hintergründig mit Vorurteilen gegenüber Ausländern, "Rabenmüttern" und Adoptivfamilien spielte. Nie erhebt Boie dabei den moralischen Zeigefinger. Sie bringt ihre Wertvorstellungen indirekt und unverkrampft ein.
"Natürlich versuche ich, so zu schreiben, dass Werte sichtbar werden", sagt die Bestsellerautorin. "Aber ich verfolge keine besonderen pädagogischen Zielsetzungen." Daher hat Boie auch keine Berührungsängste mit "schlimmen Wörtern", Lügen oder starken Emotionen. Romane wie "Jenny ist meistens schön friedlich", "Man darf mit dem Glück nicht drängelig sein" oder "Mit Kindern redet ja keiner" spielen teils in zerrütteten Familienverhältnissen, die Boie aber völlig unaufgeregt schildert.
Spaß am Lesen fördern
In ihrem Jugendroman "Nicht Chicago, nicht hier" setzt sie sich mit dem Thema Mobbing auseinander, in "Schwarze Lügen" mit den Vorurteilen gegenüber schwarzen Jugendlichen. In ihrem wohl persönlichsten Buch "Monis Jahre" erzählt Boie von ihrer Kindheit in den fünfziger Jahren in Hamburg, als sie, behütet und aus kleinen Verhältnissen stammend, die Oberschule besuchen durfte und sich ihr die Welt der Bücher erschloss.
Bei aller Ernsthaftigkeit der Themen ist Kirsten Boie vor allem eines wichtig: Sie möchte, dass Lesen Spaß macht. Ein Anspruch, der bei dem großen Medienangebot heute immer schwieriger zu erfüllen sei, glaubt sie. Um schon die Kleinsten mit der Welt der Literatur vertraut zu machen, schreibt sie Bilder- und Vorlesebücher. Die oft lesefaulen Jungen versucht sie mit ihren Geschichten vom "Kleinen Ritter Trenk" oder dem Meerschweinchen King Kong zu begeistern. Die Mädchen lieben besonders ihre Serie über den lustigen Alltag der Kinder im Möwenweg.
Neuer Blick nach Afrika
Auch wenn ihre Bücher in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt wurden und längst ein internationales Publikum haben, behält Boie beim Schreiben vor allem die deutschen Kinder und ihr Lebensumfeld im Blick. Vor zwei Jahren hat sie aber eine Ausnahme gemacht. In "Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen" beschäftigt sie sich in vier Geschichten mit Aidswaisen im afrikanischen Swasiland, dem Staat mit der höchsten HIV-Rate der Welt.
Schon seit 2007 unterstützt die Schriftstellerin das Hilfsprojekt "MobiDiK", das für die Waisen eine Betreuung, Unterkunft, Essen und den Schulbesuch organisiert. "Ich war so entsetzt und berührt vom Schicksal der Kinder und Jugendlichen, dass ich die Begegnungen mit ihnen in Geschichten verarbeiten musste", erzählt sie. "An eine Veröffentlichung habe ich dabei zuerst überhaupt nicht gedacht."
Schließlich siegte ihr Wunsch, dass Jugendliche vom Schicksal der Aidswaisen erfahren. Der Band wurde - wie viele andere ihrer Bücher – auf Anhieb ein Beststeller. Doch nicht nur das. Bei Lesungen mit dem durchaus schwierigen Publikum der 13- bis 15-jährigen Pubertierenden machte Boie eine neue Erfahrung: "Egal, wo ich aus dem Erzählband vorlese, überall könnte man eine Stecknadel fallen hören." Ein Grund mehr für die Autorin, noch lange nicht in Rente zu gehen.