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Kirchenasyl für Samiras Familie

Stefan Dege22. Mai 2013

Keiner darf wissen, wo sie leben: Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien landeten die Yonatas in einem Kirchenasyl in Hamburg. Doch sind Samira, ihr schwerkranker Mann Djamal und die vier Kinder jetzt sicher?

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Reportagebilder aufgenommen und zugeliefert von Stefan Dege (DW). Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien: Die Yonatas genießen Kirchenasyl in einer Hamburger Kirchengemeinde. Foto: S. Dege
Bild: DW/S. Dege

"Ich will Ruhe", sagt Samira Yonata und streicht sich nervös die Haare aus dem Gesicht, "endlich Ruhe!" Die Außenwand des Jugendtreffs ist mit Graffitis besprüht. Vor den schmalen Fenstern hängen Stoffe und lassen wenig Licht in den Keller. Samira wohnt hier, ihr schwerkranker Mann Djamal und die vier kleinen Kinder. Seit einem Jahr hat die syrische Familie Zuflucht gefunden - im Kirchenasyl einer Hamburger Kirchengemeinde.

Samiras Name ist geändert. Die Lage der Unterkunft soll geheim bleiben, ebenso der Name der Kirchengemeinde am Rande Hamburgs. Pastorin Petra Meyer fürchtet Anschläge von Rechtsextremen. Es ist ein multikultureller Stadtteil. "Ich hatte schon Sorgen, dass sie in meiner Gemeinde sagen: Wir sind als Christen in der Minderheit. Warum nehmt Ihr eine muslimische Familie auf?" Doch es kam anders.

Die alten Frauen des Viertels waren die ersten, die fragten: Braucht Ihr warme Kleidung, Essen, Decken? Die Kriegsgeneration. "Mittlerweile fragen sie: 'Wie geht es unserer Familie?' - Für mich als Pastorin eine schöne Gemeindeerfahrung."

Porträt von Pastorin Petra Meyer (Foto: S. Dege, DW)
Es gibt ein ethisches Recht auf Kirchenasyl - die Hamburger Pastorin Petra MeyerBild: DW/S. Dege

Samiras Bruder war es, der sich vor einem Jahr hilfesuchend an die evangelische Landeskirche, die Nordkirche wandte. Eine Gemeinde war schnell gefunden. "Im Kirchenvorstand haben wir sofort beschlossen, dass wir das tun", erinnert sich Pastorin Meyer, "vor allem, weil die Lage in Syrien allen einleuchtete."

Aus der Sicherheit ins Ungewisse

Dabei lebte Samiras Familie zunächst in sicherer Entfernung von der gefährlichen Heimat, verdiente gutes Geld in Saudi-Arabien. Djamal verkaufte Schoko-Riegel, sie kümmerte sich um die Kinder. Dann erkrankt Djamal an Multipler Sklerose. Samira kann ihn nicht vertreten. Frauen dürfen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren. Die Flucht beginnt. Naheliegendes Ziel: die Oma im deutschen Hamburg.

Aufbruch ins Ungewisse: Vier Tage Bootsfahrt über das Mittelmeer, unter Lebensgefahr. Stranden in Italien. Weiter Richtung Deutschland. Polizeikontrolle in Bayern. Flüchtlingsheim. Nach sechs Monaten droht die Abschiebung nach Italien. Nach europäischem Asylrecht ist ein Asylantrag im Aufnahmeland zu stellen. "Warum", fragt Günther Burkhart, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, "warum soll eine syrische Familie in Italien einen Asylantrag stellen, wenn doch die Mutter in Deutschland lebt?" Was viele nicht wissen: In Italien werden Flüchtlinge nach sechs Monaten obdachlos.

Zerstörter Straßenzug in Aleppo (Foto:AP Photo/SANA)
Zerstörter Straßenzug in AleppoBild: dapd

So weit kommt es nicht. Die Yonatas schlagen sich nach Hamburg durch. Der Kirchenvorstand hat inzwischen recherchiert. "Für uns Deutsche ist Italien ein wunderschönes Urlaubsland", sagt Pastorin Meyer, "aber diese Familie hätte in Italien keine Überlebenschance gehabt." Djamals Krankheit schreitet fort. Sein Bewegungsradius schrumpft auf 20 Meter. Er fällt oft um, braucht Ärzte und Medikamente. Die Kinder sollen zur Schule.

Syrian refugees take a rest after they crossed into Jordanian territory with their families from Syria into Jordan near Mafraq February 18, 2013. According to the Jordanian Armed Forces sources, around 89,000 Syrian refugees fleeing from the violence in their country have crossed the Jordanian border since the beginning of 2013. REUTERS/Muhammad Hamed (JORDAN - Tags: POLITICS MILITARY TPX IMAGES OF THE DAY)
Syrische Flüchtlinge an der Grenze zu JordanienBild: Reuters

Schreckensbilder aus der Heimat

Der Billardtisch im Jugendtreff ist an die Seite geschoben und mit einer Platte abgedeckt. Ein Tisch steht da, ein altes Sofa, darunter parken bunte Plastikbagger - Spielzeug der Kleinen. Fernseher und Laptop flimmern im Dauereinsatz, tragen Schreckensbilder aus Syrien in die Hamburger Flüchtlingsherberge. "Sie verfolgen alle Nachrichten", weiß Pastorin Meyer, "oft weinen sie." Die Yonatas kennen die Orte. Sie wissen, wer da lebt und wie es früher dort ausgesehen hat. "Am Bürgerkrieg", klagt sie, "zerbricht auch die Kultur, zum Beispiel das gute Zusammenleben von Muslimen und Christen."

Fanny Dethloff ist eine kleine, quirlige Frau. Sie ist die Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Nordkirche. Auch leitet sie die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft für Asyl in der Kirche. Ihre Bilanz für 2011: Deutschlandweit kamen 69 Personen in Gemeinden unter, 16 Kirchenasyle endeten erfolgreich, womit Duldung gemeint ist. Eine Abschiebung gab es. "Viele Menschen, zum Beispiel syrische Bürgerkriegsflüchtlinge, haben gute Gründe, weshalb sie aus ihren Ländern fliehen", sagt Fanny Dethloff, "hier angekommen, müssen sie aber erleben, dass man ihnen nicht glaubt."

Nicht allen kann die Kirche helfen. Die Nordkirche bezahlt Dethloffs Stelle, mittlerweile aber auch Wohnungen, wo Menschen untertauchen können. Sie finanziert Juristen, die Flüchtlinge beraten. Und solche, die verhandeln können. "Wir reden lieber im Hintergrund mit den Behörden", sagt Fanny Dethloff. Hamburgs Ämter wissen Bescheid. Auch wenn der Aufwand hoch ist - für Mediziner, Anwälte, Lebensmittel , die Schule der Kinder - Kirchenasyl heißt vor allem: Zeit gewinnen.

Fanny Dethloff hält ein schwarzes Kind auf dem Arm (Foto: Stefan Dege, DW)
Fanny Dethloff, die Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Nordkirche, mit einem Schützling auf dem Arm.Bild: DW/S. Dege

Ende offen

Ob ein Kirchenasyl mit einer Aufenthaltserlaubnis für die Schützlinge endet", weiß Günter Burkardt von Pro Asyl, "hängt davon ab, ob die Kirchen die politisch Verantwortlichen von einer humanitären Lösung überzeugen können." Seine Organisation kritisiert Deutschlands Asylpolitik scharf. Sie sei auf Abwehr ausgerichtet. Flüchtlinge würden ausgegrenzt und isoliert, erhielten weder Deutsch- noch Integrationskurse.

Porträt des Pro-Asyl-Geschäftsführers Günter Burkhardt. (Foto: Stefan Dege, DW)
Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt kritisiert die deutsche Flüchtlingspolitik.Bild: DW/S. Dege

"Deutschland überaltert, braucht Zuwanderung", sagt Burkhardt, "es kann doch nicht sein, dass Europa weltweit Handel treiben will, Deutschland die Exportnation Nummer eins ist und gleichzeitig, wenn es um Menschen geht, die Schotten dicht macht, Grenzen hochzieht und Flüchtlingen die kalte Schulter zeigt." Rund 1,4 Millionen syrische Flüchtlinge leben nach Angaben von Pro Asyl in den Nachbarstaaten des Bürgerkriegslandes. Manche haben Verwandte in Deutschland, schätzungsweise 40.000 Syrer leben hier.

Schlafen ohne Angst

Zeit gewinnen, ohne Recht zu brechen, darum geht es den Gastgebern von Samiras Familie: "Denkt darüber nach, ob es gut ist, einen schwer MS-kranken Mann nach Italien abzuschieben, wo er vielleicht in einem Zelt am Bahnhof übernachten muss", sagt Pastorin Petra Meyer. Als Christin argumentiert sie: "Wenn ein Mensch Überlebenshilfe braucht, ist es unser ethisches Recht, für diesen Menschen einzustehen."

Jeden Tag kann die Polizei vor der Tür stehen, kann Samira, Djamal und die Kinder in Abschiebehaft nehmen. Das wäre das Ende. "Wir haben angefangen, Gott und der Situation zu vertrauen, dass es schon gut gehen wird." Samiras gehetzter Blick verrät: Die Yonatas fühlen sich gut versorgt - aber sicher? "Ich will schlafen ohne Angst", sagt sie in gebrochenem Deutsch, "Kinder Schule gehen, mein Mann haben Medikamente und ich habe Arbeit. Ich will nur Ruhe."