Khomeinis kalte Augen
6. Juni 2013"Beckenbauer good!", sagt der Taxifahrer und hebt lachend den Daumen, da erscheint am Straßenrand plötzlich ein Wandbild mit dem Konterfei des toten Ajatollah. "Khomeini no love!" schnaubt der Mittfünfziger verächtlich. Die Führung des Landes kommt kaum besser weg. „Khamenei und Ahmadinedschad sind verrückt. Schah Reza Pahlawi war besser!“
34 Jahre ist es her, dass der Iran zu einer Islamischen Republik geworden ist – und die Bilanz liest sich verheerend: Außenpolitisch ist das Land wegen seines Atomprogramms weitgehend isoliert. Wirtschaftlich machen sich die westlichen Sanktionen immer stärker bemerkbar, Inflation und Arbeitslosigkeit steigen unaufhaltsam, große Teile des Volks haben dem Regime inzwischen den Rücken zugekehrt. Das Experiment eines theokratischen Staates ist gescheitert, der Gottesstaat zu einem Polizeistaat geworden.
Gelbe Hunde und Schakale
Am 14. Juni wird ein neuer Präsident gewählt, doch auf den Straßen Teherans ist davon noch wenig zu spüren. Viel erwarte er von den Wahlen ohnehin nicht, sagt Hossein: "Eigentlich gar nichts." Er weiß, wovon er spricht. Vor Wochen schon hatte der oberste religiöse und politische Führer, Ali Khamenei, erklärt, wie der neue Mann auszusehen habe, mehreren linientreuen Kandidaten grünes Licht gegeben und mitteilen lassen, dass er keinen ausufernden Wahlkampf wünsche. Diesmal dürfe es keine blutigen Straßenschlachten wie bei der umstrittenen Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads vor vier Jahren geben.
Immerhin hatten sich 700 Kandidaten beworben, doch nur acht ließ der von Khamenei kontrollierte Wächterrat zur Präsidentschaftswahl zu: blasse, willfährige Männer allesamt, dem Mullah-Regime treu ergeben. Die beiden aussichtsreichsten Bewerber, der ehemalige Präsident Akbar Hashemi Rafsandschani und der Wunschkandidat Ahmadinedschads, Rahim Maschaie, wurden vorsorglich aussortiert.
Ob nun der ehemalige Außenminister und enge Berater Khameneis das Rennen macht oder der Bürgermeister von Teheran, lässt die meisten Iraner kalt. "Für uns macht das keinen Unterschied. Sage zard baradare shoghale“ – der gelbe Hund ist der Bruder des Schakals, sagt Hossein und schüttelt den Kopf. 400 bis 500 Menschen lenkten die Geschicke des Iran, erzählt der 60-jährige Teheraner. "Nicht mehr." Einer wie der andere.
Protest gibt es nur zuhause
Die "Allah ou Akbar"-Rufe über den Dächern Teherans, mit denen die Menschen vor vier Jahren gegen das Regime protestierten, sind längst verstummt. Die Opposition ist zerschlagen, die Führer der grünen Bewegung stehen unter Hausarrest, kritische Journalisten oder aufsässige Studenten sind in Haft oder im Exil. "Die Leute sind unzufrieden. Aber die meisten haben resigniert", erzählt der Ladenbesitzer. 60 Prozent der Menschen seien dem Regime gegenüber feindlich eingestellt, schätzt Hossein.
"Wenn wir so wählen könnten, wie wir wollten, gäbe es das System schon lange nicht mehr", heißt es auch bei einem Abendessen im Norden der Hauptstadt. Dort hat sich die Oberschicht bei Cognac und Bier hinter die hohen Mauern ihrer Anwesen zurückgezogen. "Wir denken, was wir wollen, und in den eigenen vier Wänden sagen wir das auch", sagt der Gastgeber trotzig.
Es dürfte wenig Länder geben, in denen das öffentliche und das private Leben so strikt getrennt sind wie im Iran. Doch Widerstand? Der sei auch von der Mittelschicht nicht mehr zu erwarten, sagt Hossein. Die Menschen hätten Angst. Zu frisch sei die Erinnerung, mit welcher Brutalität die Schlägertrupps der Bassidsch-Milizen die Unruhen niedergeknüppelt hatten. Und die Maschen des Netzes sind enger geworden: Ein von den Revolutionsgarden kontrolliertes Unternehmen hat große Anteile am iranischen Mobilfunknetz erworben und gleichzeitig das Internet unter seine Kontrolle gebracht. Die direkte Folge: "Wenn es in meinem Viertel Proteste oder Unruhen gibt, werden sofort die Handynetze blockiert. Und ich erfahre erst Tage später von Nachbarn, was passiert ist“, erzählt Hossein.
Resignation statt Revolution
Khomeinis kalte Augen sind überall. Auf dem Basar, über den Ministerien, als Höhepunkt von Ausstellungen. Lieblos, fast misstrauisch schaut der Gründer der Islamischen Republik auf sein Volk herab. Seine Erben sind nicht weniger wachsam. Dennoch bleibt die Unzufriedenheit selbst westlichen Touristen nicht verborgen. Junge Mädchen, die das Kopftuch im Nacken tragen und auf Ermahnungen erklären, dass sie das Kopftuch hassen. Ein Taxifahrer, der, nach der heiligen Stadt Ghom befragt, mit "Zu viele Mullahs" antwortet, oder die Teenagerin, die einem verblüfften Rentner aus Berlin erklärt, dass der Iran kein Land für Frauen sei und sie sich wünsche, dass sich alles ändern möge.
Unruhen oder gar eine Revolution sind dennoch nicht zu erwarten, glaubt Hossein. Dafür seien das Regime zu stark und die Iraner zu leidensfähig. "Wenn die Menschen in Teheran auf die Straße gehen, karrt das Regime in Bussen einfach Schläger aus Täbris oder Maschhad heran. Die kümmern sich dann um die Proteste", erklärt er. "Im Iran ändert sich erst etwas, wenn die gelben Hunde anfangen, sich gegenseitig zu zerfleischen.“ So lange aber will Hossein nicht mehr warten. Frau und drei Kinder sind längst im Ausland, er will demnächst folgen. "Ich muss meinen Kindern eine Perspektive bieten, und die haben sie bei einer Jugendarbeitslosigkeit von – vorsichtig geschätzt – 30 Prozent nicht.“ An die Versprechungen der Kandidaten glaubt er schon lange nicht mehr. "Wer Reformen verspricht, dem rennen die Leute hinterher.“ Sogar Ahmadinedschad habe verkündet, dass es Zeit für einen Frühling werde – seit den Aufständen in Nordafrika ein Wort von besonderer Bedeutung. "Aber soll ich mich ausgerechnet darauf verlassen?“, fragt Hossein. Er erwartet keine Antwort.
Die Machtkämpfe können das System nicht erschüttern
An der Resignation der Menschen ändert auch der Machtkampf im konservativen Lager nichts. Präsident Ahmadinedschad versucht mit allen Mitteln, seinen Vertrauten Maschaie ins Amt zu hieven, um ihn dann in einigen Jahren wieder zu beerben. Doch das Votum des Wächterrats hat den Traum von einer russischen Rochade a la Putin-Medwedew platzen lassen. Ahmadinedschad, der um sein politisches Überleben kämpft, hat bereits Widerstand angekündigt. Schon vor der Entscheidung des Wächterrats drohte er der geistlichen Führung, Unterlagen zu veröffentlichen, aus denen hervorgehen soll, dass die Wahlen 2009 von den Mullahs manipuliert worden seien. Nun will er gerichtlich gegen den Ausschluss Maschaies vorgehen. Ein Novum in der Geschichte der Islamischen Republik.
Doch das System sei deswegen nicht in Gefahr, ist Hossein überzeugt. Gleiches gilt für den Ausschluss Rafsandschanis. Das sieht auch Jafar so. Seit seiner Wahl zum Präsidenten habe Ahmadinedschad zahlreiche Schlüsselpositionen mit Anhängern besetzt und dadurch nach und nach auch die ökonomische Macht im Iran an sich gerissen, erklärt der 28-jährige Deutsch-Iraner, der in Stuttgart lebt. Eine Kriegserklärung an die Mullahs, die sich bis dahin – im Namen Allahs des Barmherzigen – die Taschen gefüllt hätten. "Da geht es nicht um die Frage religiös oder weltlich, Konservativer oder Reformer, da geht es einzig um Macht und Geld", sagt Jafar. Eine Lockerung des Alkoholverbots oder eine Zulassung von Satellitenschüsseln beispielsweise treffe vor allem die Revolutionsgarden. "Oder was meinen Sie, wer das ganze Bier und den Cognac liefert?" Und auch die Sat-Schüsseln seien ein höchst lukratives Geschäft: "Denn heute installieren sie das Ding, und morgen holen sie es wieder ab, um es dann gleich noch mal zu verkaufen." Auf wessen Seite sich die Milizen und die Revolutionsgarden im Ernstfall schlagen würden? "Die unterstützen denjenigen, der ihnen mehr zahlt."
Die Hoffnung auf einen Wandel hat auch Jafar aufgegeben. "Die Revolutionsgarden und die Bassidsch-Milizen sind zu stark. Außerdem haben die viel zu verlieren, denn ihnen geht es nach einem Regimewechsel als Erstes an den Kragen. Deswegen schlagen sie im Ernstfall alles mit äußerster Brutalität nieder, denn wenn das Regime fällt, sind das die Ersten, die an den Laternen baumeln." Auch hätten sich vielen Familien die Massenhinrichtungen der Revolutionsjahre ins Gedächtnis gebrannt: "Damals reichte ein Schnauzbart, um als Staatsfeind zu gelten." Heute genügt bereits ein grüner Schal.
Dieser Artikel ist ein Beitrag unseres Kooperationspartners "Stuttgarter Nachrichten".