Im Kino: "Der Junge muss an die frische Luft"
19. Dezember 2018Horst Schlämmer, Uschi Blum, Königin Beatrix: viele Figuren, ein Mann. Hape Kerkeling ist einer der beliebtesten Komiker Deutschlands und hat mit vielen Sketchen deutsche Fernsehgeschichte geschrieben. Sein Auftritt als Königin Beatrix im Schloss Bellevue - dem Wohnsitz des Bundespräsidenten - ist genauso unvergessen wie sein Konzert in einer Musikschule, wo er mit einem dadaistischen Lied ("Und das Lamm schrie HURZ") das anwesende kulturbeflissene Publikum verunsicherte. Deutschland lacht bis heute gerne und kollektiv über diesen lustigen Mann, der seine aktive Karriere längst beendet hat.
Anfang der 2000er nahm Kerkeling eine Auszeit und ging den nordspanischen Jakobsweg - mehr als 600 Kilometer bis nach Santiago di Compostela. Eine Erfahrung, die er später in einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Sachbücher ("Ich bin dann mal weg") schilderte. 2015/16 sahen fast zwei Millionen Zuschauer die Verfilmung im Kino.
Herrlich verrückte Familie
Fast auf den Tag genau drei Jahre später - am 25.12.2018 - kommt der nächste autobiografische Kerkeling-Film ins Kino: Die Vorlage für "Der Junge muss an die frische Luft" ist Kerkelings gleichnamiges Buch von 2014, in dem sich der Entertainer zurück in seine Kindheit begibt.
Anfang der 1970er Jahre im Ruhrpott: Der kleine Hans-Peter Kerkeling wächst in einer herrlich verrückten Familie auf - die Verwandtschaft feiert gerne und hält zusammen wie Pech und Schwefel. Hier haben die Frauen das Sagen, wie bunte Satelliten kreisen Omas und Tanten um den kleinen Hans-Peter herum. Der Junge ist ein bisschen pummelig, strotzt aber vor Selbstbewusstsein und schafft es immer wieder, seine Umwelt zum Lachen zu bringen.Die Unbeschwertheit hat ein Ende, als Hans-Peters Mutter Margret nach einer verpfuschten Kieferhöhlen-Operation ihren Geschmacks- und Geruchssinn verliert und in eine tiefe Depression fällt. Selbst ihr witziger Sohn schafft es am Ende nicht mehr, sie mit seinen Scherzen aus der Schwermut zu reißen. Sie bringt sich schließlich um. Ein einschneidendes Erlebnis für den gerade 8-jährigen Hans-Peter.
Rührend ohne Kitsch
Im Kinosaal fließen aber nicht erst jetzt die Tränen. Die bahnen sich bei besonders rührungsempfänglichen Zuschauern schon vorher ihren Weg. Weil alle Schauspieler ihre Rollen sehr liebevoll spielen und Regisseurin Caroline Link sich mit ihrer Kamerafrau Judith Kaufmann den Figuren mit Zärtlichkeit nähert, ohne ins Kitschige abzudriften. Die Charaktere der verrückten Familie sind sorgsam nachgezeichnet. Die sonnigen Kindheitstage bei Oma Bertha auf dem Land sind fröhlich in Szene gesetzt, selbst dem trostlosen Grau des Stadthauses, in das die Familie schließlich umzieht, kann Caroline Link noch ein bisschen Romantik abgewinnen.
Luise Heyer ist Hans-Peters Mutter Margret, eine hübsche, zarte, fröhliche Frau, die am ständig zunehmenden Druck zerbricht, nachdem die extrovertierte Familienpatriarchin Omma Änne (robust und gleichzeitig fragil gespielt von Hedi Kriegeskotte) gestorben ist. Der Vater (Sönke Möhring), der im Prinzip nicht anwesend ist, da er berufsbedingt ständig auf Achse ist, kann am Ende den Verfall seiner Frau nur als Zuschauer beobachten - eine besonders tragische Rolle. Joachim Król spielt Opa Willi, der nach dem Tod seiner resoluten Frau über sich hinauswächst.
Ein talentierter "Wonneproppen"
Und schließlich die Hauptrolle: Julius Weckauf verkörpert den kleinen Hans-Peter. Ein absoluter Glücksgriff. Der Wunschkandidat für diese Rolle war im März 2017 noch gar nicht gefunden. In einem deutschlandweiten Castingaufruf wurde "ein kleiner, blonder, pummeliger Junge" gesucht, "der die besondere Fähigkeit hat, andere zum Lachen zu bringen und versucht, mit dieser Gabe seine Welt zu retten." Julius Weckauf hat alle mit seiner Spielfreude und seinem komödiantischen Talent überzeugt. Damit hat der kleine "Wonneproppen" seine erste Kinorolle überhaupt bekommen.
Hape Kerkeling selber ist begeistert von dem jungen Schauspieler. Tief gerührt sei er gewesen, sagte er in einem ARD-Interview, und andererseits schwer begeistert. "Der Julius hat ein großes Talent und eine unglaubliche Strahlkraft."
Am Anfang standen Kinderfilme
Regisseurin Caroline Link begann mit Dokumentationen und Kinderfilmen. Ihr erster Kinoerfolg war 1996 "Jenseits der Stille" - die Geschichte über ein Mädchen, das sich in der taubstummen Welt ihrer Eltern zurechtfinden muss. Poetisch inszeniert, intelligent konstruiert, lobten damals Kritik und Publikum. 1999 folgte eine moderne Adaption des Kinderklassikers "Pünktchen und Anton".
Und dann kam der bisher größte Erfolg für die heute 54-jährige Filmemacherin: 2003 erhielt sie für "Nirgendwo in Afrika" den Oscar für den besten ausländischen Film - zum ersten Mal nach 23 Jahren wurde eine deutsche Filmschaffende mit dem wichtigsten Kinopreis Hollywoods ausgezeichnet.
Mit "Der Junge muss an die frische Luft" ist Caroline Link wieder ein bewegender Film gelungen, sehr rührend und sehr witzig - ein Familienfilm für die Weihnachtszeit. Zu jung sollten die Zuschauer allerdings nicht sein. Die tragischen Filmmomente sind für jüngere Zuschauer mit Sicherheit zu traurig oder noch nicht wirklich verständlich.