Kenia: Das Geschäft mit der Dürre
19. Oktober 2017Die Schlange vor der Großküche wird länger und länger. Die Kinder mit den bunten Plastikschüsseln in den Händen werden langsam nervös. Es ist kurz nach 18:00 Uhr. Die Zeit, zu der an der Kwa Watoto Schule das Abendessen ausgeben wird. Viele Schülerinnen und Schüler sind ehemalige Straßenkinder. An der Schule in Soweto, einem Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi, bekommen sie nicht nur eine Schulbildung, sondern auch ein warmes Essen und einen Schlafplatz.
Mais wird zum Luxusgut
Endlich geht die Tür zur Großküche auf. Doch schnell spricht sich herum: Es gibt nur die Reste vom Mittagessen - wie so oft in letzter Zeit. Mehr sei momentan einfach nicht möglich, erklärt Nehemiah Ndeta, der die Szene mit den strengen Augen eines Schuldirektors verfolgt. Vor knapp 20 Jahren hat er die Schule mit dem Ziel gegründet, benachteiligten Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. Selten war das so schwierig wie jetzt.
Die letzten drei Regenzeiten sind in Kenia ausgeblieben. Die Folge sind massive Ernteausfälle. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind im ganzen Land in die Höhe geschnellt. Vor allem Maismehl, die Basis für den von fast allen Kenianern geliebten Ugali-Brei, hat sich zeitweise um mehr als die Hälfte verteuert. Inzwischen gehe er fast täglich direkt zu den Betreibern von Getreidemühlen und bitte sie um Mehl, erzählt Ndeta. "Aber auch wenn du denen erklärst, dass du 1000 Kinder ernähren musst, sagen sie dir nur, dass das nicht ihr Problem sei", klagt der Schulleiter. "Wenn du die Tür vor der Nase zugeschlagen bekommst, was kannst du dann machen?"
Getreide verrottet in Silos
Was Ndeta noch mehr in Rage bringt als das Verhalten der Mühlenbetreiber: Fast in Sichtweite der Schule stehen die Silos der Nationalen Behörde für Getreide und Agrarprodukte. Vor Ausbruch der Dürrekrise hatte die Regierung den Kenianern versprochen, die Silos seien prall gefüllt - mit mehr als zwei Millionen Säcken Mais. Man habe im Krisenfall Notreserven für "mindestens fünf Monate", fügte Landwirtschaftsminister Willy Bett hinzu. Doch als die Vorräte im Frühjahr aufgrund der anhaltenden Dürre tatsächlich freigegeben wurden, waren die Silos schon nach wenigen Wochen so gut wie leer.
Bis heute warten die Kenianer auf eine Erklärung, was mit dem restlichen Mais passiert ist. Im Land verbreiten sich derweil die Gerüchte. Politiker hätten Teile der Vorräte geplündert und weiterverkauft, behaupten die einen. Die versprochenen Notreserven hätte es nie gegeben, sagen die anderen. Beweisen lassen sich beide Vorwürfe nicht. Schulleiter Ndeta glaubt, die Lebensmittelvorräte seien in den Silos schlicht verrottet, weil sie schlecht gelagert wurden. "Das ist schon sehr traurig", so der Schuldirektor. "Nebenan verfault der Mais in den Silos und gleichzeitig sterben die Menschen am Hunger."
Insider profitieren von der Krise
Seit Beginn der Dürrekrise hat sich die kenianische Regierung so viele Fehler erlaubt, dass zahlreiche Experten nicht mehr nur an Fahrlässigkeit und Missmanagement glauben. Viel zu spät seien Maßnahmen eingeleitet worden, die der Nahrungsmittelknappheit und dem Preisanstieg rechtzeitig hätten entgegenwirken können - wie beispielsweise die Aufhebung von Importzöllen, die Freigabe der Notreserven oder die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln. "Für die Krise gab es schon sehr früh genügend Warnhinweise", so Finanzexperte Aly-Khan Satchu. Doch die seien größtenteils ignoriert worden. Für Satchu legt das den Schluss nahe: "Es gibt Insider - auch in der Regierung - die von der aktuellen Krise profitieren."
Die meisten Beobachter haben dabei vor allem eine Gruppe im Blick: Die Großimporteure von Mais und anderen Getreiden. Sie sind die Hauptprofiteure der momentanen Preisinflation - und ihre Nähe zur Politik ist in Kenia ein offenes Geheimnis. "Wenn man ein wenig tiefer gräbt, erkennt man: Diese Geschäftsleute haben sehr mächtige politische Paten", erläutert James Shikwati vom Interregionalen Wirtschaftsnetzwerk (IREN). Der Analyst ist sich mit seinem Kollegen Satchu einig: Es handle sich um ein Geschäft, das auf einem einfachen Prinzip des Gebens und Nehmens basiere: Politiker stellten die begehrten Importlizenzen aus, die Importeure machten Traumgewinne - und Teile der Profite flössen dann diskret zurück ins politische System.
Auf diese Vorwürfe angesprochen, reagieren die Verantwortlichen gereizt. Gerade jetzt - im Wahlkampf - war die Nahrungsmittelknappheit kein angenehmes Thema. Ja, es habe anfangs einige Probleme gegeben, die dürrebedingten Ernteausfälle zu kompensieren, sagt James Oduor, Chef der Nationalen Dürrebehörde. Inzwischen habe sich die Lage aber stabilisiert und mit gemeinsamen Anstrengungen könne man die Krise endlich hinter sich lassen. "Und wer daran nicht interessiert ist, der soll einfach den Mund halten und kein dummes Zeug verbreiten", so der Behördenchef. Und kurz vor den Wahlen ging Landwirtschaftsminister Willy Bett nochmal in die Offensive: Man habe in den vergangenen Monaten mehr als fünf Millionen Säcke Mais importiert, die Regierung werde die Preise subventionieren, "innerhalb eines Monats sei die Knappheit überwunden."
Der UN geht das Geld aus
Schuldirektor Ndeta sind Wahlkampfversprechen wie diese ziemlich egal, er will endlich wieder genug Lebensmittel für seine Schüler bekommen. Seine letzte Hoffnung ist das offizielle Schulspeisungsprogramm, das die Vereinten Nationen zusammen mit der kenianischen Regierung betreiben. Seine Schule gehört wegen ihres hohen Anteils an Slum-Kindern eigentlich genau zur Zielgruppe. Aber dort vertröstete man ihn mit einem Platz auf der Warteliste. Leider komme es wegen der hohen Lebensmittelpreise momentan zu "Verzögerungen", teilen die Verantwortlichen beim Welternährungsprogramm der Deutschen Welle auf Anfrage mit. Außerdem sei das Spendenaufkommen für die Bekämpfung der aktuellen Dürrekrise so niedrig wie selten zuvor. Weniger als 20 Prozent des für die humanitäre Arbeit benötigten Budgets steht laut UN momentan zur Verfügung.
Er könne es den Spendern noch nicht einmal übel nehmen, wenn sie bei all den Geschichten über Missmanagement und persönliche Bereicherungen nicht bereit seien, Geld für die Krise bereitzustellen, meint Schuldirektor Ndeta. Doch darunter litten jene, die nichts dafür können - allen voran seine Schüler. "Die haben einfach nur Hunger."