Kenia: Die Dürre riecht nach Tod
23. April 2017Der Wassertrog mitten im ausgetrockneten Ödland ist leer. Nur noch in einer kleinen Senke steht ein bisschen Wasser. Menschen und Tiere warten, schon seit vielen Stunden. Nur einmal am Tag füllt eine solarbetriebene Pumpe das Wasserloch in der Turkana-Halbwüste zwischen den Städten Lodwar und Kakuma auf. Die Hirten vom gleichnamigen Volk der Turkana nehmen immer längere Fußmärsche in Kauf, um diese Wasserstelle zu erreichen.
"Riechen Sie das?"
"Diese Dürre ist sehr schlimm. Eine normale Dürre tötet nur die schwachen Tiere. Aber diese hier tötet auch widerstandsfähiges Vieh", berichtet Kulume Emoru. Der 60-jährige und seine Familie haben ihre Rundhütten seit ein paar Tagen ganz in der Nähe aufgeschlagen. Bis auf wenige Ziegen hat die Familie ihr Vieh verloren.
Kulume kann die Frage, wie viele Tiere er in den letzten Wochen verloren hat, nicht beantworten. Er deutet auf ein ausgetrocknetes Flussbett in der Nähe. "Riechen Sie das? Wir können Ihnen die Tiere zeigen. Diese Ziegen hier leben noch, aber auch sie werden immer schwächer."
Die Dürre riecht nach Tod. Mit jedem Meter, den das ausgetrocknete Flussbett näherkommt, nimmt der Verwesungsgestank zu. Die Familie hat ihre toten Tiere hier zurückgelassen. Die 45-jährige Napeyok Esyinyen steht regungslos zwischen den Kadavern.
"Wir können uns nicht gegen die Dürre wehren. Es gibt keinen Weidegrund und es gibt nicht genug Wasser. Wir haben in der Turkana nur unsere Tiere, wir kennen kein anderes Leben."
Erst hungern die Tiere, dann Menschen
Es ist ein schwieriges, entbehrungsreiches Leben. Nur wenn es in der Halbwüste genug regnet, haben die Viehherden genug zu fressen und die Hirten eine stabile Lebensgrundlage. Die Tiere liefern Fleisch, Milch und Blut – drei Elemente, die für die Ernährung der Turkana eine überragende Rolle spielen.
Doch die Veränderung des Weltklimas ist in der trockenen, heißen Region deutlich zu spüren. Es gibt keine verlässliche Regenzeit mehr, die Dürren kommen häufiger, und sie halten länger an. Natur und Viehbestände können sich nicht erholen.
Die letzte schlimme Dürre in der kenianischen Turkana gab es zwischen 2011 und 2012. Damals erklärten die Vereinten Nationen für das benachbarte Somalia eine Hungersnot. Eine Entwicklung, die sich nach nur sechs Jahre später zu wiederholen scheint.
Krieg und Klimaschock
Auch dieses Mal bedroht die Dürre vor allem die Bevölkerung in Kenias umkämpften Nachbarländern Somalia und Südsudan. Dort verschlimmere Krieg den neuen Klimaschock, sagt Valerie Guarnieri, die für die Region zuständige Direktorin des Welternährungsprogramms (WFP) der Vereinten Nationen.
"Das ist ein menschengemachter Konflikt, der Menschen entwurzelt und die wirtschaftliche Entwicklung zum Stillstand bringt. Es geht um Politik. Die Waffen müssen schweigen. Menschen müssen sich ohne Gewalt entwickeln können. Uns muss es erlaubt sein, alle Menschen zu erreichen, die regelmäßig Hilfe brauchen", fordert Guarnieri.
Im Norden Kenias gibt es keinen Krieg, keine Vertreibung und keine mit Waffengewalt blockierte Hilfe. Doch auch hier kämpfen Menschen ums Überleben. Für Valerie Guarnieri vom WFP ist die Region Turkana der "klassische Dürrefall". Sie deutet im Gespräch mit der DW an, dass eine veränderte Politik für Linderung sorgen könnte.
"Das ist eine Kombination aus dem klimatischen Schock und der Tatsache, dass Menschen hier auf trockenem Land leben und ihren Lebensstil ändern müssen, damit sie der Dürre standhalten können", sagt Guarnieri. Die Regierung in Kenia habe zwar reagiert und Notprogramme initiiert. "Wir sehen aber auch, dass diese Hilfe die Menschen in den entlegenen Gebieten nicht erreicht. Hier muss es darum gehen sicherzustellen, dass auch die Peripherie regelmäßigen Zugang zu staatlichen Leistungen bekommt."
Die Turkana gehört zu den unterentwickeltsten Regionen Kenias. Hier leben fast eine Million Menschen ganz überwiegend von der Viehzucht. Die Nomaden bemessen ihren Reichtum in Herden. Einige Clans kämpfen auch mit Waffengewalt um Tiere, Weidegrund und Wasser. Die Dürre verschärft den Kampf um die knappen Ressourcen und treibt viele Familien mit ihren Herden über die Grenze nach Uganda.
Es fließt kaum Geld in die Turkana, um den Hirten eine andere Perspektive zu öffnen. Die Infrastruktur ist in einem miserablen Zustand. Die Straßen sind Schlaglochpisten, Strom gibt es nur in den Städten, viele Schulen und Gesundheitszentren auf dem Land sind verwaist.
Ein Vakuum von sieben Prozent
Von Kenias wirtschaftlicher Entwicklung profitieren vor allem die städtischen Eliten und die Mittelschicht in der südlichen Landeshälfte. Dabei hat auch Kenia sich in der Maputo-Erklärung von 2003 verpflichtet, zehn Prozent seines Budgets in die ländliche Entwicklung zu investieren."
"Das Landwirtschaftsministerium bekommt nur magere drei Prozent, daraus ergibt sich eine große Lücke von sieben Prozent", sagt Fredrick Njau von der Heinrich-Böll-Stiftung in Nairobi. Dies zeige, wie ernst die Regierung die Ernährungssicherheit der eigenen Bevölkerung nehme. "Vielleicht ist das auch eine bewusste Entscheidung, weil die betroffenen Menschen weit entfernt vom politischen Machtzentrum leben."
Turkana am Abgrund
Von der kenianischen Hauptstadt bis in die Halbwüste der Turkana sind es etwas mehr als 900 Kilometer. Hier, in der Nähe der Stadt Lokichogio, hat Viehirtin Karebur Ebenyo im trockenen Buschland den ganzen Tag nach wilden Bohnen gesucht, um ihre Familie zu versorgen. Ein halber Eimer braunes Wasser, der im Schatten ihrer Rundhütte steht, muss bis morgen reichen.
Der Fußmarsch zur nächsten Wasserstelle dauert einen halben Tag. Wie viele Turkana ist Karebur nie zur Schule gegangen. Welche Rolle der Staat spielt, und welche Rechte sie in der Not hat, ist ihr nicht klar. Ihre Familie lebt wie unsichtbar etwa zwei Stunden abseits der nächsten Straße. „Wir haben noch keine Hilfe von der Regierung bekommen. Vielleicht ist unsere Zeit noch nicht gekommen. Wir müssen das aushalten. So ist Dürre. Entweder du überlebst oder du stirbst."