Kenia: angeknackster Klimachampion
5. Dezember 2023Wie eine aufgeworfene grüne Decke ziehen sich Wälder über die sanften Hügel, immer wieder durchbrochen von schroffen Steilhängen. "Im Ostafrikanischen Graben bricht Afrika auseinander", sagt die Geologin Anna Mwangi. "Wir stehen hier auf der Sohle des Grabenbruchs. In einigen Millionen Jahren wird hier ein Meer sein." Mwangi arbeitet bei KenGen, dem staatlichen kenianischen Stromerzeuger. Hier in Olkaria, in Sichtweite vom Naivasha-See im Südwesten Kenias, betreibt KenGen zahlreiche Geothermie-Kraftwerke - erkennbar an den feinen weißen Linien aus Wasserdampf, die sich gen Himmel ziehen.
Der Standort ist ideal, wie Mwangi erklärt: "Die Magma kommt hier nah an die Oberfläche und heizt das Grundwasser auf." Geowissenschaftler würden erkunden, wo sich der Wasserdampf sammelt und durch gezielte Bohrungen abgefangen werden kann.
322 Bohrlöcher gibt es in Olkaria. Der Dampf betreibt Turbinen, die Strom erzeugen: 985 Megawatt installierte Kapazität halten Kenias Geothermiekraftwerke aktuell bereit - aufgebaut auch mit deutschen Zuschüssen. Es sind Dimensionen, die auch Bundeskanzler Olaf Scholz beeindrucken. Deutschland könne von Kenia lernen, sagte der der Kanzler bei seinem Besuch im Mai - und lobte die "Strahlkraft" Kenias.
Kenias nachhaltiger Energiemix
Durch seine Lage hat das ostafrikanische Land optimale Voraussetzungen für einen nachhaltigen Energiemix. Bei Geothermie belegt es laut Zahlen von KenGen schon jetzt den sechsten Platz in der weltweiten Produktion. Dazu kommen große Windparks im Norden des Landes, auch Wasserkraft trägt zum Mix bei.
Laut Zahlen der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) machten Erneuerbare schon 2020 75 Prozent der totalen Energieversorgung aus. Die kenianische Statistikbehörde KNBS gibt an, dass Kenia im März 2023 mehr als die Hälfte seines Stroms - 509 Millionen Kilowattstunden - aus Geothermie erzeugte. Zusammen mit Wind-, Wasser- und Solarenergie lagen Erneuerbare demnach bei 83 Prozent.
Kenias Präsident William Ruto ist sich der Wirkung dieser Zahlen bewusst - und rechnet sie gerne auch mal ein bisschen schön. Als Gastgeber des ersten Afrika-Klimagipfels (ACS) im September bezifferte Ruto den Anteil der Erneuerbaren Energien im Stromnetz auf 93 Prozent. Bei der Factchecking-Plattform Africa Check besteht die Zahl nicht, auch diverse Klimaforscher und Aktivisten halten im DW-Gespräch 70 bis 80 Prozent für realistischer. Über das Ziel indes lässt Ruto keine Zweifel aufkommen: Bis 2030 will er Kenia zu 100 Prozent auf "saubere Energie" gepolt haben.
Kenias Klimapräsident
Auch sonst arbeitet Ruto an seinem Image als Klimafreund: Zum Afrika-Klimagipfel fährt er medienwirksam mit einem kleinen E-Auto. Als Vorsitzender des Komitees afrikanischer Staats- und Regierungschefs zum Klimawandel jettet er durch Afrika. Und: Er pflanzt Bäume. An einem Novembermontag, der kurzerhand zum Feiertag erklärt worden ist, ist ganz Kenia unterwegs, um 100 Millionen Bäume zu pflanzen - 15 Milliarden sollen es in den nächsten zehn Jahren werden. Neben vielen perfekten PR-Bildern kursieren auch Videos von einem Präsidenten, der in die Pflanzgrube stolpert. Weiß Ruto, wo es lang geht?
Alijawaad Molu empfängt uns in Kenias zweitgrößter Stadt Mombasa in einer schlichten Lagerhalle aus Fertigbauteilen und Wellblech. Darin stehen 26 Tuktuks - Fahrzeuge, wie sie in Kenias Städten zu Tausenden als günstige Taxis unterwegs sind. Auf diesen hier steht "Ecotours" und "Fully Electric". Für den in Mombasa gebürtigen Jungunternehmer waren die E-Tuktuks mehr als nur eine ökonomische Entscheidung: "Wir fragten uns: Wie können wir den Menschen hier etwas zurückgeben? Die Lärmverschmutzung, die Luftverschmutzung in unserer Geburtsstadt zu reduzieren, schien uns sehr wichtig."
Verkehrswende mit langem Atem
Optisch unterscheiden sich die Tuktuks von "Solutions Africa Ltd." nicht von herkömmlichen Fahrzeugen. Zum Antrieb dienen Bleisäurebatterien, wie sie in Kenia vielfach im Einsatz sind. Und bei der Gewinnmarge macht das Unternehmen deutliche Abstriche, um die E-Tuktuks zu handelsüblichen Preisen anbieten zu können. Alles Maßnahmen, um den Kunden die Furcht vor dem Neuen zu nehmen. Im Betrieb seien die Tuktuks dann deutlich günstiger. Trotzdem hat Solutions Africa bisher kaum ein Tuktuk verkauft: Die Angst vor der geringen Reichweite und die Unsicherheit im Umgang mit der neuen Technologie hätten potenzielle Käufer bisher abgeschreckt.
"Vielleicht sind wir ein bisschen früh", sagt Molu. Jetzt warten die Tuktuks in der Halle auf den richtigen Zeitpunkt mit neuer Marketingstrategie. Vielleicht noch einmal ein bis zwei Jahre Stillstand. Mit Lobbyarbeit könne man in Kenia nicht viel erreichen, sagt Molu: "Das ist nicht wie der Westen. Hier treffen ein, zwei Leute die Entscheidungen."
Umso mehr freut er sich, dass Präsident Ruto sich jetzt des Themas angenommen hat. "Im vergangenen Jahr hat er viel getan, um E-Mobilität nach vorne zu bringen", sagt Molu. "Seht euch an, wie viele neue Player jetzt auf dem Markt sind." Was die Anreize angeht, bleibt er skeptisch. Seine Firma profitiert bisher nur von einer Förderung für die Montage in Kenia, die genauso für Fahrzeuge mit Verbrennermotor gilt.
Dabei sieht Molu durchaus Möglichkeiten: beispielsweise bei der monatlichen Lizenz für Mombasas Taxifahrer. "Statt 800 kenianischen Schilling könnten sie E-Tuktuk-Halter nur 200 Schilling zahlen lassen", schlägt er vor. Immerhin: Zuletzt nehmen die Anfragen wieder zu, neue Geschäftskontakte entstehen. Unklar, inwieweit hier Rutos PR zu Buche schlägt - oder die von Großbritanniens König Charles und Königin Camilla, die bei ihrem Besuch für ein Foto in Molus Tuktuk Platz nahmen.
Hakuna Matata in Kenia?
William Ruto hat sich festgelegt - spätestens mit dem Africa Climate Summit vom September: Er will beim Thema Klima keine Probleme sehen, sondern bemüht lieber das Buzzword des "grünen Wachstums". Das sei "ein Brunnen ökonomischer Möglichkeiten", ein Milliardengeschäft. Das Zauberwort für Ruto: Kohlenstoffhandel. Afrikas Kohlenstoffsenken bezeichnet er als "Goldgrube". Und räumt auf mit dem unlieben Image des Bittstellers: "Das Narrativ von Nord gegen Süd muss aufhören", sagte Ruto beim ACS. "Wer was getan hat - wir haben nicht den Luxus, uns diese Diskussion erlauben zu können."
Für Klimaaktivisten, die Jahrzehnte auf den Loss and Damage Fund hingearbeitet hatten, durch den Industriestaaten für die Klimafolgeschäden im globalen Süden aufkommen sollen, war das ein Affront. In Nairobi empfängt Ende November Mithika Mwenda, Exekutivdirektor der Panafrikanischen Allianz für Klimagerechtigkeit (PACJA). Kurz vor der Klimakonferenz in Dubai, Mwenda sitzt quasi auf gepackten Koffern, gibt er sich professionell. Der Kohlenstoffhandel sei ein emotionales Thema, sein Bündnis habe sich im Vorfeld des Afrika-Gipfels klar dazu geäußert, seinen Einfluss bei anderen Regierungen genutzt. "Wir haben ihn sehr weit zurückgedrängt", kommentiert Mwenda Rutos Vorstoß.
Sprachrohr afrikanischer Interessen in Dubai
"Der Kohlenstoffmarkt ist eine Lösung neben vielen anderen, er ist nicht die einzige Lösung." Zu marktwirtschaftlich, zu unkalkulierbar: "Wenn wir in Afrika den Preis von Gütern wie Kaffee, Kakao und Tee nicht kontrollieren können, wie wollen wir etwas kontrollieren, von dem man uns sagt, es sei eine Tonne Kohlenstoff?" Außerdem stört Mwenda der verengte Fokus auf die Abmilderung der Erderwärmung ("mitigation"). In Kenia, wo die Folgen des Klimawandels deutlich spürbar sind, brauche es vor allem Geld, um die Anpassung, den Schutz vor Extremwettersituationen voranzutreiben.
Was ist dran an Rutos grüner Weste? Ist sein Image bloßes politisches Kalkül und Geschäftemacherei, wie das manche Kommentare nahelegen? "Wir freuen uns über jeden Champion, jede Stimme, die unserer Stimme als afrikanische Interessenvertretung Gewicht verleiht", sagt Mwenda. Ruto reise als Sprachrohr der Afrikanischen Union nach Dubai. "Diese Stimme hatten wir nie. Wir als Zivilgesellschaft sind sehr glücklich, dass diese Stimme so laut ist."